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BURAN 17 Jahre 3 Monate her #10505

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[size=18:d9fa65e38f]BURAN
Der Alptraum wird Realität
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Die mächtigsten Männer der Welt:

Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ...

Der Präsident der Russischen Föderation ...

und ...

Die Kommandanten der strategischen Atom-U-Boote beider Seiten ...

In der Hoffnung, eine Katastrophe abwenden zu können ...




Doch früher oder später...

... wird der Alptraum bittere Realität ...





[size=18:d9fa65e38f]PROLOG[/size:d9fa65e38f]


Der Tag hatte zweifellos etwas besonderes. Nicht nur, dass die Sicherheitsmaßnahmen auf dem Werftgelände streng waren, weil Vizepremierminister Sergej Iwanow diesem Ereignis beiwohnte, sondern weil in der Bauhalle das bisher wohl am besten gehütete Militärgeheimnis Russlands lag. Es mochte sein, dass ein Hauch von Propaganda durch die Halle wehte, doch es war nach Aufassung der Regierung ein bedeutendes nationales Ereignis. Und die Regierung Putin liebte nun einmal den starken Auftritt und die große Show. Die Tore der Bauhalle waren zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder geöffnet, um etwas hinaus zu bewegen. Aufgelegt auf dutzenden fahrbaren Stützen thronte der Gigant über den 107 Männern, die ihn bald durch die Tiefen der Meere steuern sollten. Es war die größte Leistung des russischen Militärschiffbaus und es war auch das erste wirklich ernsthaft vorangetriebene Schiffbauprogramm für die Seekriegsflotte der postsowjetischen Zeit. Am heutigen Tag ebenfalls anwesend waren der Oberbefehlshaber der Seekriegsflotte, Admiral Massorin; der Generaldirektor der Schiffbauvereinigung Sewmash, Wladimir Pastukhow und der Oberbürgermeister von Moskau, Jurij Lushkow; der Vizeverteidigungminister für Bewaffnung, General Aleksej Moskowskij und Pawel Nijtshko, Leiter der militärischen Vertretung des Verteidigungsministeriums. Kapitän Ersten Ranges Mitikin trat vor und salutierte vor Sergej Iwanow. „Herr Vizepremierminister, ich melde Besatzung des APKR Jurij Dolgorukij vollzählig angetreten. Es meldet Kapitän Ersten Ranges Konstantin Mitishin.“
„Kapitän, Ihnen wird die Ehre zu Teil, dieses neue Unterseeboot in die Flotte einzugliedern. Mir wird die Ehre zu teil, Ihnen hiermit das Schiff zu übergeben.“
Iwanow, Lushkow, Moskowskij und Nijtshko setzten sich an den Tisch auf der Bühne, an der die russische Flagge und die Flagge der Seekriegsflotte wehte. Es sollte der erste U-Kreuzer der vierten Generation sein, welchen die Flotte bekam und der erste neue stragegische U-Kreuzer seit 17 Jahren. Am 19. August 1995 war die Jurij Dolgorukij, welche nach dem Gründer der Stadt Moskau benannt war, als erster U-Kreuzer des Projektes 955 in die Bestandsliste der Seekriegsflotte aufgenommen und am 02. November 1996 hier in der Bauhalle der Werft Sewmash auf Kiel gelegt worden. Nachdem die Arbeiten wegen chronischen Geldmangels immer wieder unterbrochen werden mussten, machte Präsident Putin 2002 die Gelder locker und trieb das Programm energisch voran. Schon am 19. März 2004 wurde ein zweites Boot, die Aleksandr Newskij, und am 19. März 2006 ein drittes, die Wladimir Monomakh, auf Kiel gelegt. Jetzt, beinahe 11 Jahre seit dem Tag, an dem die ersten Sektionen verschweißt worden waren, sah die Jurij Dolgorukij erstmals das Tageslicht. Die vier Männer an dem Tisch unterzeichneten das Übergabe-Übernahme-Protokoll – der 23 Milliarden Rubel teure atomgetriebene stragegische U-Kreuzer Jurij Dolgorukij war nun Eigentum der Seekriegsflotte. Ob das 955-Programm nun eine optimale Lösung darstellte, stand auf anderen Blättern, doch die Flotte bedurfte einer dringenden Modernisierung ihres nuklearen Abschreckungspotenzials.
„Es ist viel angenehmer, dieses Papier zu signieren“ sagte Iwanow gegenüber den Reportern und Jounalisten, „als einige internationale Verträge zu unterschreiben.“
Die Kapelle spielte die Nationalhymne und die Besatzung nahm Haltung an. Endlich begann die Zeremonie des Stapellaufes. Kapitän Mitikin nahm eine Champagnerfalsche und hoffte, dass sie auch richtig zersprang. Tat sie das nicht, lag ein Fluch auf dem Boot. U-Bootbesatzungen waren abergläubisch. Und jeder hier hatte das Drama von K-141 Kursk nicht vergessen. Aber heute ging alles gut. Mitikin schleuderte die Flasche gegen das Seitenruder seines Bootes. Auch andere Besatzungsmitglieder und Wertarbeiter warfen Flaschen gegen den mächtigen schwarzen Rumpf, bis Generaldirektor Pastukhow verkündete, die Jurij Dolgorukij sei jetzt genug gesegnet. Die auf Schienen laufenden Stützen setzten sich langsam in Bewegung. Der 24 000 Tonnen schwere, 170 Meter lange U-Kreuzer, der 16 nuklearbestückte Interkontinentalraketen Bulawa-30 tragen sollte, rollte langsam aber sicher in das hinter der Bauhalle in Position gebrachte überdachte Trockendock. Es war Sonntag, der 15. April 2007 – die Russische Föderation meldete sich als Seemacht zurück.



ERSTER TEIL

Befreiung in Asien




Mittwoch, 11. Juni 2014, Koreanische Halbinsel

Schon seit Tagen wurden im Norden verstärkte Aktivitäten der Volksarmee beobachtet – ohne dass es jemanden groß interessierte. Derartige Manöver zog Nordkoreas desolates Millionenheer in letzter Zeit häufig durch. Irgendwie schaffte es das neue Regime um den Jungen Führer Kim Jong-Nam in letzter Zeit, mehr Treibstoff – im Norden ohnehin Mangelware – zu organisieren. Das war aber auch das einzige, was sich im Norden verbessert hatte. Nach wie vor galt die Regel des 1994 gestorbenen Präsidenten auf Ewigkeit Kim Il-Sung: Die Volksarmee zuerst!
Nordkorea, das hoch gelobte Arbeiterparadies, stand allerdings schon mit einem Bein über dem Abgrund. Nicht nur militärisch, erst recht wirtschaftlich. Seit Kim Il-Sung´s Tod lag die Wirtschaft brach. Auf den Feldern und Straßen mehr Ochsenkarren und Fahrräder als Lkw´s und Autos, immer wieder auftretende Hungersnöte und die viertgrößte Armee – der wohl eher größte militärische Schrotthaufen der Welt – saugten dem Land das Leben aus. Wer nicht nach der Pfeife des stalinistischen Regimes tanzte, verschwand im Umerziehungslager. Nur wenige der fast 200 000 dort zumeist unschuldig inhaftierten Menschen kamen lebend aus diesen Lagern heraus. Tägliche Folter, harte Arbeit, die Willkür der Wachen und vor allem der Mangel an Nahrung ließen zwei Drittel der Häftlinge schon nach kürzester Zeit aufgeben. Um dem ganzen die Krone aufzusetzen berichteten Überlebende Flüchtlinge aus Nordkorea von Versuchen an Gefangenen mit Giftgasen und Viren.
Doch die Kim-Dynastie hielt – entgegen der Empfehlungen ihres Nachbarn China – an der maroden Planwirtschaft fest und schaufelte damit ihr eigenes Grab immer tiefer. Die blühenden Jahre unter Kim Il-Sung waren nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Ende der Wirtschaftshilfe seitens Russland gezählt. Kim Il-Sung starb an einem Herzinfarkt. Sein kleiner, fetter Sohn Kim Jong-Il übernahm sein Amt und fuhr das Land innerhalb kürzester Zeit mitsamt Wirtschaft und Militär gegen die Wand. Schätzungsweise zwei Millionen Nordkoreaner kamen in den Neunzigern durch Hungersnöte ums Leben. Westliche Hilfe kam nur stockend voran, da das Militär bevorzugt versorgt wurde. Aber kaum ein Soldat der Volksarmee – mit Ausnahme der Befehlshaber – wurde richtig satt. Im Gegenteil. Durch den Nahrungsmangel litten junge Nordkoreaner an Wachstumsstörungen und die Körpermindestgröße für Rekruten wurde auf einen Meter siebenundzwanzig heruntergesetzt. Die Ausrüstung der Volksarmee bestand zu 99 Prozent aus 50 Jahre alten Panzern, größtenteils ebenso alten Kampfflugzeugen und einer Marine ohne ernsthaften Einsatzzweck, von den Mini-U-Booten der Spezialkräfte einmal abgesehen. Dazu kamen schlecht ausgebildete, unterernährte Soldaten und ein Oberbefehlshaber, der immernoch dachte, er würde mit diesem Schrotthaufen den zahlenmäßig zwar nich ganz so starken, aber hochtechnisierten Süden überennen können.
Mehr als zwei Drittel der nordkoreanischen Armee, rund 700 000 Mann, 8 000 Geschütze und rund 2 000 Panzer, standen in einem Korridor von 160 Kilometer Tiefe nördlich der demilitarisierten Zone, der im Norden schrecklichsten und tödlichsten Grenze, die je zwei Länder voneinander trennte. Ausgedehnte Bunkeranlagen und unterirdische Gangsysteme sollten sie vor den Objektiven der russischen und amerikanischen Überwachungssatelliten schützen. Westliche Militärs gingen davon aus, dass sie im Falle eines nordkoreanischen Angriffs auf den Süden maximal drei Tage Vorwarnzeit hätten.
Die koreanische Halbinsel war seit dem Ende des Koreakrieges 1953 von West nach Ost entlang des 38. Breitengrads durch eine Demarkationslinie geteilt. Beiderseits dieser Waffenstillstandslinie erstreckte sich ein jeweils zwei Kilometer breiter Streifen auf nord- und südkoreanischem Gebiet, die so genannte demilitarisierte Zone. Das gesamte Gebiet war durch Mauern, Stacheldraht und Minenfelder gesperrt, Bewegungsmelder und Bodensensoren sollten Infiltrationsversuche auch durch unterirdische Stollensysteme unterbinden.
Seit nunmehr 61 Jahren herrschte zwischen Nord- und Südkorea ein Waffenstillstand. Ein formeller Friedensvertrag wurde nie abgeschlossen. Immer wieder drohte Nordkorea mit einem Angriff auf den Erzfeind im Süden. Die südkoreanische Hauptstadt Seoul lag nur rund 30 Kilometer südlich der Grenze und wäre im Falle eines nordkoreanischen Angriffs vermutlich das erste Ziel gewesen. Selbst ohne die Grenze zu überschreiten, könnte die Volksarmee die rund zehn Millionen Einwohner im Großraum Seoul mit Artillerie und Raketenwerfern beschießen. Militärplaner rechneten für diesen Fall mit mehreren zehntausend Toten in den ersten Stunden des Angriffs.
Direkt jenseits der demilitarisierten Zone hatte Nordkorea nach Schätzungen etwa 500 Geschütze mit einer Reichweite von bis zu 60 Kilometern in schwer verbunkerten Stellungen postiert. Die 170-Millimeter-Haubitzen vom Typ M-1989 Koksan waren eine nordkoreanische Eigenentwicklung, die im ersten Golfkrieg auch vom Iran gegen den Irak eingesetzt wurden. Hinzu kamen noch einmal etwa 200 Mehrfachraketenwerfer mit einer Reichweite von bis zu 60 Kilometern. Zusammen konnten diese Waffensysteme pro Stunde bis zu 10 000 Schuss auf Seoul abfeuern.
Südkoreas Armee stand in verschiedenen Verteidigungsstellungen tief gestaffelt, südlich der Grenze. Ausgedehnte Minenfelder und Sperrgürtel sollten eine angreifende nordkoreanische Volksarmee aufhalten. Südkoreas Verteidigungsstrategie ging davon aus, einem (wohlgemerkt gut organisiertem) nordkoreanischen Angriff mit den vorhandenen Kräften etwa zwei Wochen lang aufzuhalten, bis Verstärkungen aus den USA eingetrafen.
Aufgrund des extrem bergigen Terrains am 38. Breitengrad könnte die nordkoreanische Armee auch nicht in voller Breite angreifen, sondern müsste sich durch mehrere enge Korridore zwängen. Einer davon führte allerdings direkt nach Seoul und wäre vermutlich Schauplatz der heftigsten Kämpfe gewesen. Mit insgesamt 650 000 Mann waren die südkoreanischen Streitkräfte den nordkoreanischen zahlenmäßig unterlegen.
Bei seiner Verteidigung setzte Südkorea vor allem auf eine haushohe technologische Überlegenheit. Während das südkoreanische Militär mit modernsten Waffen aus US-amerikanischer und russischer Produktion ausgerüstet ist, stammt der größte Teil der nordkoreanischen Waffen nach sowjetischen Vorbildern technologisch noch aus den 1950er bis 1970er Jahren.
Die größte Gefahr stellten nach Ansicht von Militärs die in Nordkorea seit langem produzierten Chemiewaffen dar. Nordkorea hatte niemals die Chemiewaffen-Konvention unterzeichnet. Experten gingen davon aus, dass Nordkorea in der Lage war, pro Jahr 4 500 Tonnen chemischer Kampfstoffe herzustellen und diese Produktion bis auf 12 000 Tonnen zu steigern.
Die offensive Kampfkraft der nordkoreanischen Armee während eines längerdauernden Konflikts wurde allerdings als gering bis nicht vorhanden eingeschätzt. Ursache waren Versorgungsprobleme wie Treibstoffmangel, veraltete Technik, fehlende Ersatzteile und mangelnde Wartung des Gerätes. All dies machte es der KVA praktisch unmöglich, einen längeren Krieg gegen Südkorea oder die USA zu führen, geschweige denn zu überstehen.
Aber es gab einen Teil der Armee, der moderner ausgerüstet und besser ausgebildet war als der übrige Teil: Nordkoreas taktische Raketenstreitkräfte. Über 1500 Mittel- und Kurzstreckenraketen auf mobilen Abschussrampen zielten auf den Süden, etwa 20 davon mit nuklearen Gefechtsköpfen bestückt. Ja, Nordkorea hatte die Waffe, vor der die Welt am meisten Angst hatte – nämlich die Atombombe.
Im Jahr 1985 trat Nordkorea auf Druck der UdSSR dem Atomwaffensperrvertrag bei. Nach dem Abzug der amerikanischen Nuklearwaffen aus Südkorea einigten sich Nord- und Südkorea 1992 auf ein Abkommen, das die koreanische Halbinsel zur atomwaffenfreien Zone erklärte.
Ein Jahr später verweigerte Nordkorea jedoch Inspektoren der Internationalen Atomenergie-organisation (IAEO) den Zutritt zu den Atomanlagen von Yŏngbyŏn und drohte mit dem Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag. Nach zähen Verhandlungen konnte eine Eskalation der Krise durch die Unterzeichnung des Genfer Rahmenabkommens zwischen den USA und Nordkorea am 21. Oktober 1994 vorläufig abgewendet werden. Nordkorea verpflichtete sich darin zur Aufgabe seines Nuklearwaffenprogramms sowie zum Verbleib im Atomwaffensperrvertrag und zur Fortführung der Kontrollen durch die IAEO. Im Gegenzug sollten die in Nordkorea vorhandenen graphit-moderierten Reaktoren mit amerikanischer Hilfe zu Leichtwasserreaktoren, die zur Herstellung von atomwaffenfähigem Plutonium ungeeignet sind, umgerüstet werden. Zudem sollte Nordkorea bis zu deren Fertigstellung jährlich Öllieferungen zur Bewältigung seiner Energieprobleme erhalten.
Am 18. April 1996 wurden die ersten Vier-Parteien-Gespräche, bestehend aus Nordkorea, Südkorea, USA und China, zelebriert. Aus diesen Gesprächen resultierte am 05. August 1997 die Anerkennung des Waffenstillstandsabkommens von 1953. Weitere Verhandlungen scheiterten.
Am 31. August 1998 überflog eine nordkoreanische Mittelstreckenrakete vom Typ Taepodong-1 Japan. Im Oktober 2001 bezeichnete US-Präsident George W. Bush Kim Jong-Il herabsetzend als Pygmäen und äußerte die Absicht zum Sturz des Staatschefs. In Bushs Rede zur Lage der Nation im Januar 2002 landete Nordkorea auf der Liste der Schurkenstaaten, der Achse des Bösen. Offiziell betonte die amerikanische Regierung jedoch, dass sie keine Absicht habe, gegen Nordkorea militärisch präventiv vorzugehen.
Im Oktober 2002 beschuldigten die USA aufgrund von Geheimdienstberichten Nordkorea, weiterhin an einem Nuklearwaffenprogramm zu arbeiten und dadurch die Vereinbarungen des Genfer Rahmenabkommens zu verletzen. Die nordkoreanische Regierung äußerte sich nicht direkt zu den Vorwürfen, ließ aber verlauten, dass sie aufgrund der amerikanischen Aggression prinzipiell berechtigt sei, ein solches Programm zu verfolgen. Als Konsequenz stellten die USA im Dezember die Öllieferungen an Nordkorea ein. Daraufhin erklärte Nordkorea am 10. Januar 2003 seinen Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag. Im Mai desselben Jahres erklärte es das Abkommen mit Südkorea über eine nuklearwaffenfreie koreanische Halbinsel für nichtig.
Am 10. Februar 2005 gab Nordkorea schließlich öffentlich bekannt, einsatzfähige Nuklearwaffen zu besitzen und kündigte zugleich Atomwaffentests an. Gleichzeitig gab es seinen Rückzug aus den Sechs-Parteien-Gesprächen über die Beilegung des Atomstreites bekannt und drohte mit dem Ausbau seines Arsenals. Die staatliche Nachrichtenagentur Nordkoreas, KCNA, warf in der Verlautbarung den USA eine Politik zur Isolierung und Erstickung vor und rechtfertigte den Atomwaffenbesitz als Mittel der Selbstverteidigung gegen die USA.
Die wieder aufgenommenen Sechs-Parteien-Gespräche gipfelten am 19. September 2005 in einer gemeinsamen Erklärung, in der Nordkorea seine Bereitschaft signalisierte, sein Nuklearwaffenprogramm zugunsten wirtschaftlicher und technologischer Hilfe aufzugeben.
Am 5. Juli 2006 testete Nordkorea sechs Raketen, darunter auch eine vom Typ Taepodong-2, welche angeblich Atomsprengköpfe tragen konnte. Nach US-Angaben könnten sie Alaska erreichen. Die Rakete stürzte jedoch nach weniger als einer Minute ab. Der Test löste weltweit Besorgnis aus.
Am 03. Oktober 2006 kündigte Nordkorea an, Nuklearwaffen testen zu wollen, dies wurde nach nordkoreanischen Angaben am 09. Oktober 2006 erfolgreich durchgeführt.
Weltweit hatten zahlreiche Regierungen den Bombentest scharf kritisiert, selbst das mit Nordkorea verbündete China hatte Konsequenzen angedroht. Südkorea hatte seine Truppen an der innerkoreanischen Grenze in Alarmbereitschaft versetzt. Außerdem unterbrach es seine Unterstützung für die Bevölkerung im Norden. Japan hatte den Handel und Schiffstourismus mit Nordkorea untersagt, und die Einreisebestimmungen für Nordkoreaner verschärft. China und Russland verhängten endgültig Waffenembargos.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen entschied am 14. Oktober 2006 mit der Resolution 1718 des UN-Sicherheitsrates, Forderungen an Nordkorea zu stellen und Sanktionen bei Nichtbefolgung zu verhängen. So wurde der Import und Export einiger militärischer Güter und Dienstleistungen, sowie Luxusgüter, verboten. Ebenfalls wurden Sanktionen gegen Personen verhängt, die das Nuklearwaffenprogramm Nordkoreas fördern. Diese Sanktionen umfassten finanzielle Maßnahmen und ein Reiseverbot. Überwacht wurden diese Maßnahmen durch ein vom Sicherheitsrat eingerichtetes Komitee.
Am 13. Februar 2007 zeichnete sich eine Einigung mit der Zusage der nordkoreanischen Seite ab, die Nuklearanlagen von Yŏngbyŏn im Austausch gegen 50 000 Tonnen Schweröl zu schließen und Inspektionen durch Ausländer zuzulassen.
Leider war das auch schon alles. 2010 begann Nordkorea in einer unterirdischen Anlage erneut mit Urananreicherungen. 2012 hatte man schon genug für 20 Gefechtsköpfe.
Und genau über diese Waffen hatten Verrückte die Kontrolle ...


Zur gleichen Zeit, UAW-Flugzeug Berijew Be-220,
80 Kilometer östlich von Mayang Do, KDVR


„Sieht so aus, als proben diese Knallkörper mal wieder den Ernstfall“, kicherte Kapitänleutnant Ruslan Martirossow hinter dem Steuerknüppel seiner Be-220, als er vor seinem Flugzeug das aufgetaucht fahrende nordkoreanische Unterseeboot der Klasse 033 erspähte. Das besagte U-Boot war vermutlich mehr als 40 Jahre alt, ein Lizenzbau der alten sowjetischen Diesel-U-Boote des Projektes 633. Nordkorea hatte 14 oder 16 der in den fünfziger Jahren entwickelten U-Booten bis 1995 nachgebaut. Die Boote waren laut, langsam, schlecht bewaffnet und in den Händen schlecht ausgebildeter Besatzungen. Nach heutigen Maßstäben nur schrottreife Blechbüchsen ohne Daseinsberechtigung. Aber die nordkoreanische Marine hatte noch mehr Kurioses zu bieten.
14 Seemeilen südlich des 033 fuhr eine 1 200-Tonnen-Fregatte der Najin-Klasse. Auch dieses Schiff, nach einem sowjetischen Entwurf aus den 1940er Jahren gebaut, erweckte nicht gerade einen Eindruck von Schlagkraft. Zwei völlig veraltete chinesische Antischiffraketen vom Typ HY-1 sollten dem Schiff Schutz bieten – lächerlich.
Die Be-220 degen war ein Meisterstück russischer Ingenieurskunst. Sie konnte nämlich etwas, dass andere U-Bootjagdflugzeuge nicht konnten: schwimmen. Sie basierte auf dem Feuerlöschflugzeug Be-200. Die Be-220 war die Militärversion. Den Bauch voller Torpedos und unter den Flügeln Antischiffraketen. Das 289. Selbstständige UAW-Fliegerregiment der Pazifikflotte hatte zwei seiner alten Il-38 gegen vier brandneue Be-220 eingetauscht.
„Wie können die nur glauben, mit sowas einen Krieg zu gewinnen?“, fragte Leutnant Shiguljew den Piloten, als die Be-220 die nordkoreanische Fregatte überflog.
„Nordkoreas Probaganda-Industrie wirft dauernd mit solchen Dingern um sich. Ich war schon dort.“
„Du warst in Nordkorea?“
„Ja. Vor zehn Jahren. Eine russische Delegation sollte der Militärparade am Tag der Volksarmee in Pjöngjang beiwohnen. Irgendjemand kam auf die Idee, ein paar einfache Militärs mit dahin zu schicken. Man holte mich deswegen extra aus Lipetsk, weil mein Vater bis 1990 für die Ausbildung nordkoreanischer Piloten auf der MiG-29 zuständig war und ich dank seiner Geschichten über das Land Bescheid wusste.“
„Pilot, ich habe Banditen!“, rief der Waffensystemoffizier plötzlich. „Ich erkenne ein russisches Jägerradar. Verdammt das ist ja uralt. Typ Topaz. Sieht nach MiG-29 der ersten Baureihe aus.“
„Wenn man vom Teufel spricht“, knurrte Ruslan gereizt. Hat er uns?“
„Nein, er hat sein Radar nur im Überwachungsmodus. Entfernung neunzig Kilometer.“
„Besatzung, klar für Ausweichmanöver. Wir verdunkeln alles.“
Plötzlich schrie das Radarwarngerät los.
„Pilot, der hat uns erfasst! Rechts wegkurven, Kurs zwo-eins-acht, möglichst tief runter!
Rusland legte die Maschine in eine Steilkurve nach rechts und der Waffensystemoffizier setzte einen Notruf auf English ab.
„Mayday, Mayday, Mayday. Hier Akula drei-eins der russischen Pazifikflotte, achtzig Kilometer östlich vor Mayang Do. Wir werden soeben von nordkoreanischen Jägern angegriffen und bitten und jegliche Unterstützung!“
„Verdammt noch mal, bring die Kiste runter, Pilot!“, brüllte der EloKa-Offizier. „Der hat uns gleich in Reichweite seiner R-27!
Die nordkoreanischen MiG-29 trugen vermutlich zwei Mittelstrecken-Luft-Luft-Raketen R-27 und vier Luftkampfraketen R-60. Zwar waren die Maschinen schon fast 30 Jahre alt und nie modernisiert worden, doch konnten sie ein riesiges U-Bootabwehrflugzeug wie die Be-220 praktisch im Vorbeiflug abschießen.
Ruslan wechselte auf die nordkoreanische Standard-Jägerfrequenz.
„MiG-29 der KDVR, drehen Sie sofort ab. Sie haben kein Recht uns anzugreifen, wir befinden uns im internationalen Luftraum.“
Flugzeug Be-220 der russischen Seekriegsflotte,“, kam es in fehlerfreiem, aber akzentstarkem Russisch zurück. „drehen Sie sofort auf Kurs zwei-fünf-null oder wir eröffnen das Feuer.
„Bedenken Sie, wen Sie hier abschießen wollen. Das Flugzeug, dass Sie fliegen wurde bei uns gebaut.“
Ich bitte Sie noch einmal im Guten, uns zu folgen, es sei denn, Sie wollen sterben. Kurs zwei fünf null, oder sie werden beschossen. Unsere R-27 sind angewärmt und Sie sind als Ziel erfasst.
Ruslan schaute Shiguljew an. Sie saßen in der Falle. Den Nordkoreanern folgen oder sterben. Vermutlich kam beides auf das gleiche hinaus. Durch Ruslans Kopf jagten Gedanken.
Was soll ich machen? Mich ergeben? Den Krieg erklären? Die Kavallerie zu Hilfe rufen? Scheiße!
„Achtung, Besatzung, ich drehe auf Kurs zwo-fünf-null. Geheimunterlagen und Waffensysteme sofort vernichten oder unbrauchbar machen.“
„Hast du den Verstand verloren?“, fragte Shiguljew erstickt.
„Wir nicht, aber die!“, gab Ruslan giftig zurück. „So können wir auf Freilassung nach diplomatischen Richtlinien hoffen, anstatt einen Krieg zu provozieren. Und jetzt sei still. Besatzung, Notabwurf der Waffen vorbereiten. Die Be-220 trug vier Antischiffraketen Kh-35U gegen Überwasserziele. Der Waffensystemoffizier betätigte zwei Schalter und die Kh-35U fielen ins Meer. Dann wurden eiligst alle Befehle, Papiere, und Dokumente zusammengetragen und aus dem Waffenschacht geworfen. „Pilot, feindliche Jäger kommen in Sichweite. Entfernung etwa fünfhundert Meter, abnehmend.“
Ruslan blickte nach rechts. Vier nordkoreanische MiG-29, Serie 9.13 reihten sich kaum 50 Meter entfernt um die Be-220 auf. Er sah den roten Stern auf weisem Hintergrund, der von einem blauen Kreis eingerahmt wurde. Als er unter die Flügel der MiG-29 sah, bestätigte sich seine Vermutung. Zwei R-27T und vier R-60. Die Führungsmaschine wackelte mit den Flügeln, sollte heißen: Folgen Sie mir!
Shiguljew war derweil damit beschäftigt, einem der nordkoreanischen Piloten den Mittelfinger zu zeigen. Ruslan konnte sehen, das der Nordkoreaner offenbar laut schreiend in in ihre Richtung gestikulierte.
„Weißt du, zu welcher Einheit die Maschinen gehören?“, fragte Shiguljew, während er immer wieder auf die MiG-29 rechts neben ihnen blickte und die Piloten mit gewissen Gesten wütend machte.
„Ja. Die Maschinen gehören zum 55. Jagdfliegerregiment der 1. Luftverteidigungsdivision und sind auf dem Stützpunkt Sunchon bei Pjöngjang stationiert. Ihre Hauptaufgabe ist die Verteidigung der Hauptstadt.“
„Und was wollen die jetzt von uns?“
„Vermutlich geleiten Sie uns jetzt nach Sunchon und zwingen uns dort zur Landung. Nachdem wir die Wirtschaftshilfen für Nordkorea eingestellt, ihnen die militärische Beistandsklausel gekündigt und von Rüstungslieferungen an sie Abstand genommen haben, gelten wir als Verräter. Ich denke mal, die wussten, dass wir unterwegs waren, um ihre Schiffsaktivitäten zu überwachen, also werden sie uns wohl der Spionage anklagen. Außerdem werden sie die Maschine auseinandernehmen und studieren. Sie werden uns verhören, um so unsere Technik besser zu verstehen. Jetzt liegt alles in der Hand unserer Regierung.“
„Und was wäre der nächste Schritt?“
„Bis wir den erreichen, werden sich die Gemüter hoffentlich abgekühlt haben. WSO, schick eine Nachricht ans Hauptquartier und sag denen, Sie sollen Dampf machen.“


Sie überflogen die Küste Nordkoreas und befanden sich nach einer Stunde über Pjöngjang. Die Be-220 kurvte über Sunchon ein und wurde von den vier MiG-29 tiefer gedrängt. Da Ruslan den Flugplatz kannte, fuhr er kurzerhand das Fahrwerk aus und setzte die mächtige Maschine auf. Die vier MiG-29 heulten über sie hinweg und drehten noch zwei Runden über den Stützpunkt. Ruslan ließ die Be-220 ausrollen, weiter vorn sah er zwei mit Infanteristen beladenene Lkw auf die Maschine zufahren. Auch zwei Schützenpanzer BMP-1 tauchten auf und richteten ihre 73-Millimeter-Kanonen auf das Flugzeug.
Die beiden Lkw hielten vor der Maschine an und 50 Soldaten der nordkoreanischen Volksarmee stellten sich mit entsicherten Waffen auf.
„Oh Gott, ich will wieder nach Hause“, murmelte der 23 Jahre alte Waffensystemoffizier.
Der arme Kerl weiß garnicht um was es geht, dachte Ruslan bei sich. Dann sah er einen UAZ von der anderen Seite der Landebahn auf sein Flugzeug zufahren. Offenbar der Kommandant der Basis Suchon. Der UAZ hielt an, und ein Mann, vermutlich Mitte vierzig sprang aus dem Geländewagen und nahm ein Funkgerät zur Hand. Sekunden später hörte die Besatzung durch die Lautsprecher die eiskalte Stimme dieses Offiziers der koreanischen Volksarmee.
Ich bin Hauptmann Lee Ki-Sok, Oberbefehlshaber des 55. Jagdfliegerregimentes der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik. Wir sind davon überzeugt, dass ihr Flugzeug nicht nur konven-tionelle, sondern auch nukleare Waffen an Bord hatte. Ausländische Waffensysteme dieser Art sind in allen Gewässern und im Luftraum der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik verboten. Sie sind vom Geliebten Führer Kim Jong-Il verboten worden und hier in Korea stehen wir dafür ein, dass unsere Gesetze befolgt werden!
„Das muss der grad sagen“, murmelte Shiguljew und schüttelte den Kopf. Derweil fuhr Lee fort.
Die Besatzung dieser Maschine wird daher unter Arrest gestellt und der Gerichtsbarkeit der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik unterworfen. Beginnen Sie damit, das Flugzeug zu räumen. Wir stehen in Verbindung mit der russischen Regierung, welche in Abrede stellt, Sie hätten jemals den Befehl dazu bekommen, sich unserem Luftraum in der von Ihnen gewählten Weise zu nähern. Bis zur Gerichtsverhandlung werden Sie in Gewahrsam genommen!
Verlassen Sie jetzt das Flugzeug. Die Systeme werden nicht heruntergefahren. Ihr Waffensystemoffizier bleibt an Bord und steht unseren Experten zur Verfügung. Sollte irgendjemand körperlichen oder gar bewaffneten Widerstand leisten, wird derjenige sofort samt einem Kameraden erschossen. Öffnen Sie jetzt die Türen und treten Sie nacheinander heraus. Dies hat unbewaffnet zu geschehen. Jeder Mann bei dem wir eine Waffe finden, wird umgehend exekutiert!

„Da können wir uns ja geschmeichelt fühlen!“, sagte Ruslan knapp und schlug auf die Mittel-konsole. Sein Magen verkrampfte unweigerlich. Es gab keinen Weg aus dieser Zwangslage. Es war unglaublich: sie waren Gefangene in Nordkorea! Die Gedanken rasten durch seinen Kopf.
Was wird der Kreml unternehmen? Wie lange dauert dieser Alptraum?
„Also dann, gehen wir raus“, sagte Ruslan entschieden und erhob sich aus dem Pilotensitz. Er öffnete die Tür und trat in die Sonne. Eine Treppe war herangerollt worden, an deren Fuß standen vier nordkoreanische Soldaten mit entsicherter Kalashnikow. Er stieg die Treppe herunter, seine Besatzung folgte. Ruslan sah Lee aus dem UAZ springen und auf sich zugehen, während einer der Soldaten ihm das MG unter die Nase hielt.
„Beeindruckend“, sagte der Nordkoreaner, setzte ein schiefes Grinsen auf und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Be-220. „Wirklich eine beeindruckende Maschine“, fuhr er fort und legte die Hand an den Rumpf des Flugzeuges. „Ihr Russen konntet schon immer schicke Flugzeuge bauen, aber dieses hier ist beeindruckender, als eure großen Antonow.
Nimm deine dreckigen Pfoten von meiner Maschine!, dachte Ruslan und bemühte sich, keine Miene zu verziehen. Stattdessen versuchte er, weitgehend neutral zu wirken, um seine Männer nicht noch mehr in Schwierigkeiten zu bringen. Lee wandte sich seiner Beute zu und baute sich vor Ruslan auf.
„Noch beeindruckender“, fuhr er mit eiskalter Stimme fort, „ist allerdings die Tatsache, dass ihr Russen immer noch denkt, in diesem Teil der Welt als Großmacht und Polizei auftreten zu dürfen. Vor 61 Jahren haben die Supermächte Korea in zwei Teile zerlegt. Und nun hat der Führer den Beweis, dass wir nicht mal mehr euch trauen können.“
Der Führer ... , dachte Ruslan und würgte ein Kichern hinunter. Der hat in Geschichte wohl nicht aufgepasst?
Dann bemühte er sich um einen möglichst höflichen Tonfall – es war besser, in solchen Momenten ein bisschen diplomatisch zu sein – und streckte die Hand aus.
„Ich bin Kapitänleutnant Ruslan Martirossow, der Pilot dieser Maschine.“
„Aha“, gab Lee verächtlich von sich und machte keinerlei Anstalten, Ruslan ebenfalls die Hand zu geben. „Nun, ich bin erstaunt, dass sie den Anordnungen unserer Piloten Folge geleistet haben ... “
„Nun, wir können gern auch wieder abfliegen“, sagte Ruslan und verschränkte die Arme. „Sie müssen uns nur einsteigen lassen und schon sind wir weg.“
Funker Andrej Bogdanow musste über diese Äußerung lachen.
Lee nickte einem der Soldaten zu und dieser jagte Bogdanow den Gewehrkolben in den Rücken. Der 23 Jahre alte Leutnant brach unter dem Hieb zusammen. Als Shiguljew ihm aufhelfen wollte, bekam auch er einen Schlag ab. Ruslan schaute Lee wütend an und bereute sogleich seinen Witz.
„Immer noch zu Scherzen aufgelegt, was?“, grinste Lee. „Aber das wird Ihnen bald vergehen, mein Freund, denn hier gehen wir mit Verrätern angemessen um.“
„Das nennen Sie angemessen?“, knirschte Ruslan. „Das war ein Ausbildungsflug! Sechs von acht Männern meiner Besatzung sind unter 25 Jahre alt. Die wissen doch garnicht, um was es geht.“
„Dann werden Sie es bald erfahren!“, zischte Lee zurück.
„Hauptmann Lee, ich bitte Sie im Guten, wenigstens die jungen Leute freizulassen. Der Mann der eben niedergeschlagen wurde, will an diesem Wochenende heiraten. Seine Freundin ist im fünften Monat, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„Ich verstehe“, sagte Lee leise und setzte eine gekünstelt bedrückte Miene auf. „Nun, dann sagen Sie ihm am besten, dass er den Termin verschieben soll. Wir wollen doch nicht, dass die Hochzeitstorte schlecht wird. Und außerdem sollten Sie ihm beibringen, mit uns zu kooperieren, denn sonst wird sein Sohn oder seine Tochte ihn niemals zu Gesicht bekommen.“
Obwohl Ruslan Lee am liebsten ins Gesicht gespuckt hätte, blieb er sachlich. Bogdanow lag am Boden und zitterte vor Angst, während ihm der nordkoreanische Soldat immer noch das Gewehr an die Brust hielt.
„Hauptmann Lee, wir sind Soldaten. Wir versuchen unsere Aufgaben so gut es geht zu erfüllen, aber hören Sie auf, Gewalt gegen meine Männer anzuwenden. Das ist keine Ehre, das ist Tyrannei.“
„Sie sehen es doch“, gab Lee entschieden zurück und deutete auf Bogdanow. „So gut es geht! Wissen Sie, meine Frau hat mir einmal gesagt, egal wie wir unser Land verteidigen, Hauptsache, wir verteidigen es.“
„Da bin ich aber erstaunt“, sagte Ruslan und setzte eine verwunderte Miene auf.
„Erstaunt, dass diese Worte von einer Frau stammen?“ fragte Lee.
„Nein, erstaunt, dass einer wie Sie verheiratet ist.“
Lee nickte erneut einem Soldaten zu. Im nächsten Moment spürte Ruslan einen Schlag und danach nur noch Benommenheit.


Drei Stunden später, Kreml, Moskau

Seit vier Jahren war Wiktor Roshkow jetzt Präsident der Russischen Föderation, dem größten Land der Erde mit der (derzeit) zweitstärksten Streitmacht der Welt. Er war ein Mann, der wusste, wie man Russland regieren musste. Allerdings war er mit seinem Stab es auch gewesen, der die machthungrigen, arroganten Hardliner aus dem Kreml gejagt hatte.
Im Jahre 2011 übertrieben es die Hardliner unter Präsident Iwanow einfach. Fast alles Geld, was Russland aus Exporten einnahm, ging ins Militär. Die Bevölkerung bekam sogut wie nichts. Und das alles wegen einem amerikanischen ABM-System in Polen, das im Falle eines Krieges für die russischen Streitkräfte ohnehin wie auf dem Präsentierteller lag. Es fehlten nur noch die Beilagen.
Roshkow hatte einen Stab besorgter Offiziere samt den ihnen unterstellten Einheiten zusammengerafft, Moskau blitzartig gestürmt und die alte Regierung unter Arrest gestellt. Danach wurden eiligst Notstandskomitees einberufen, die sich um die Lage der Zivilisten kümmern sollte. Roshkow gelang etwas, was keinem vor ihm gelungen war. Schrittweise Reformen in Wirtschaft und Militär, die dazu beitrugen den Lebensstandard rekordartig anzuheben. Im Jahr 2013 war der Rubel auf Euro-Niveau!
Roshkow war sich aber auch bewusst, das Russlands marodes Militärsystem die begonnene Modernisierung bitter nötig hatte. Er legte jedoch für jedes neue Waffensystem eine Obergrenze fest, die gleichzeitig eine sichere und effektive Verteidigung des Landes garantierte. Wieder waren es die USA, die anfingen zu meckern. Um zu demonstrieren, dass Russland durchaus nicht bereit war, sich einfach drohen zu lassen, ließ Roshkow bei der russisch-belorussischen Übung Schild der Union 2013 über 350 voll bewaffnete Kampfflugzeuge starten, die kurz bevor sie in NATO-Luftraum erreichten, wieder abdrehten.
Und dann die zunehmenden Spannungen mit Nordkorea! Erst vor kurzem wurde der Kreuzer Warjag von nordkoreanischen Raketenschnellbooten mit Antischiffraketen beschossen. Sie trafen die Warjag zwar nicht, weil sie ihren Kashtan-M abgeschossen wurden, jedoch zeigte dies deutlich die zunehmende Aggressivität der Steinzeitkommunisten. Wie sagte man so schön? Raubtiere, die das Ende spüren, sind die Gefährlichsten!
„Es sieht so aus, als ob die Lage allmählich eskaliert, Herr Präsident“, sagte Admiral Lew Seliwanow. „Jahrelang haben wir diese Arschlöcher bewaffnet, und wozu? Sie haben eines unserer Flugzeuge in ihre Wichsgriffel bekommen!“
„WAS haben die?!“, krächzte General Andrejew, und verschluckte sich an seinem Tee, was letztendlich in einem gewaltigen Hustenanfall endete.
„Die Meldung kam eben aus Wladiwostok“, fuhr Seliwanow fort. „Eine der neuen Be-220 wurde über dem japanischen Meer von nordkoreanischen MiG-29 abgefangen und irgendwo bei Pjöngjang zur Landung gezwungen. Ich habe General Grubow schon angewiesen, ein paar Satelliten auszurichten, um den genauen Standort zu erfahren.“
„Und unsere Jungs?“, fragte der Präsident.
„Tja, die wurden entweder interniert oder exekutiert, aber ich denke, ersteres trifft eher zu, allein schon weil die unsere Leute brauchen, um die Maschine zu verstehen.“
„Soll das etwa heißen, die wollen das Flugzeug studieren?
„Was haben Sie denn gedacht, Herr Präsident? Für die Nordkoreaner ist das doch ein gefundenes Fressen. Außerdem können sie uns so auch wieder abzocken. Geld oder Militärtechnik gegen Flugzeug und Besatzung. Erinnern sie sich noch an dieses amerikanische Spionageschiff, dass 1968 von denen gekapert wurde? Es hieß Pupol, oder so ähnlich ...“
Pueblo!“, schnauzte Admiral Gerashenko, während er in schallendes Gelächter ausbrach.
„Gekapert?“, fragte Roshkow misstrauisch.
„Sie kennen die Geschichte garnicht?“, fragte Seliwanow grinsend.
„Nee.“
„Also gut.“ Seliwanows Grinsen wurde breiter, als er zu erzählen begann: „Am 11. Januar verließ die Pueblo den japanischen Hafen Sasebo mit der Anweisung, unsere Aktivitäten innerhalb der Tsushima-Straße zu überwachen.
Am 21. Januar näherte sich ein U-Bootjäger bis auf wenige Seemeilen der Pueblo. Schon am nächsten Tag näherten sich zwei nordkoreanische Fischkutter der Pueblo bis auf etwa 20 Meter. An diesem Tag versuchte eine nordkoreanische Einheit, südkoreanische Führer zu ermorden, aber die Besatzung der Pueblo wurde darüber nicht informiert.
Am 23. Januar näherte sich wiederum ein U-Bootjäger der Pueblo und forderte sie auf, ihre Nationalität zu nennen. Daraufhin wurde auf der Pueblo die amerikanische Flagge gehisst. Das nordkoreanische Schiff befahl der Pueblo, anzuhalten und drohte damit, das Feuer zu eröffnen. Die Pueblo versuchte zwar, zu entkommen, war aber wesentlich langsamer als der U-Bootjäger. Zudem erschienen drei Torpedoboote an der Kimm, wenig später zusätzlich zwei MiG-21 und ein viertes Torpedoboot. Die Maschinengewehre der Pueblo waren in Wetterplanen eingepackt und ihre Munition befand sich unter Deck. Die Maschinengewehre waren nicht geladen und es wurde nicht versucht, sie zu bemannen.
Die nordkoreanischen Schiffe versuchten, die Pueblo zu entern, wurden aber durch Ausweichmanöver der Pueblo daran gehindert. Daraufhin eröffnete ein Torpedoboot das Feuer mit einer 55-mm-Kanone. Die kleineren Schiffe feuerten Maschinengewehrsalven auf die Pueblo, die sich daraufhin ergab. Obwohl die Besatzung der Pueblo mit der Vernichtung der geheimen Informationen begonnen hatte, war es ihr wegen der ungeheuren Menge unmöglich, das ganze Material zu zerstören. Lediglich 90 Prozent konnte vernichtet werden, da die über Bord geworfenen Gegenstände und der aufsteigende Rauch verbrannter Chiffriertabellen den nordkoreanischen Einheiten sofort verdächtig vorkamen.
Zwischenzeitlich war das Oberkommando der amerikanischen Pazifikflotte über den Vorfall informiert worden. Der Besatzung wurde Hilfe versprochen, die aber niemals ankommen sollte. Offenbar wollte niemand die Verantwortung für einen Angriff auf die nordkoreanischen Schiffe tragen. Als Präsident Lyndon Johnson geweckt wurde, war die Pueblo bereits gekapert.
Die Pueblo folgte den nordkoreanischen Schiffen zunächst wie befohlen, stoppte aber plötzlich außerhalb nordkoreanischen Hoheitsgewässern. Daraufhin wurde sie erneut unter Beschuss genommen und ein amerikanischer Matrose wurde getötet. Nordkoreanische Soldaten gingen an Bord, fesselten die Mitglieder der Besatzung, verbanden ihnen die Augen und schlugen auf sie ein.
Die Pueblo wurde in den nordkoreanischen Hafen Wŏnsan gebracht. Die Besatzung wurde in Gefangenenlager gebracht und dort misshandelt und gefoltert. Die Behandlung verschlimmerte sich, als die Nordkoreaner bemerkten, dass Mitglieder der Besatzung auf inszenierten Propagandafotos ihre Bewacher hinter deren Rücken verunglimpften. Auf einem dieser Fotos – das auf den ersten Blick die entspannt lächelnde Besatzung zeigt – verwendet die Besatzung zudem verdeckt Zeichensprache, die das Wort Snowjob, also Lüge oder Vertuschung darstellt. Das Foto wurde von den Nordkoreanern anfangs mit der Begründung veröffentlicht, dass die Besatzung überlaufen wolle.
Nach dem schriftlichen Zugeständnis der US-Regierung, dass es sich bei der Pueblo um ein Spionageschiff handelte, einer Entschuldigung und einer Zusicherung, dass die USA in Zukunft keine Spionage mehr betreiben würde, wurden die 82 verbliebenen Besatzungsmitglieder freigelassen. Am 23. Dezember 1968 wurde die Besatzung mit Bussen zur innerkoreanischen Grenze in der DMZ gebracht und über die Brücke ohne Wiederkehr in die Freiheit entlassen. Die USA zogen daraufhin ihr Zugeständnis als erpresst zurück.
Die Pueblo befindet sich heute noch im Hafen von Pjöngjang und ist dort eine der größten Touristenattraktionen.“
Präsident Roshkow saß etwa eine Minute lang staunend da, bis er langsam die Worte aussprach, die Seliwanow durch den Kopf gingen, seit er von dem Zwischenfall unterrichtet worden war:
„Verdammte Scheiße!“
Die Mitglieder der Sitzung nickten nur.
„Also, meine Herren“, fuhr der Präsident bedächtig fort. „wie werden – oder sollten – wir jetzt reagieren?“
Verteidigungsminister Jurij Iwanowitsh überlegte kurz und räusperte sich.
„Zunächst werden die die Nordkoreaner auffordern, das Flugzueg und die Besatzung innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden freizugeben. Das werden die natürlich ablehnen. Also werden Sie denen eine Frist von – sagen wir einfach mal zweiundsiebzig Stunden – setzen, und nach deren Ablauf eine militärische Lösung garantieren. Zuckt Pjöngjang dann immer noch nicht, werden wir eben in jener Sprache antworten, die die Steinzeitkommunisten auch verstehen, nämlich mit Gewalt. Wir setzen uns mit Südkorea in Verbindung. Wenn die mitmischen, wäre eine Wiedervereinigung der beiden Koreas unausweichlich.“


Zur gleichen Zeit, Militärdistrikt Fernost

Die Reaktion der russischen Streitkräfte war alles andere als harmlos. Kaum war die Meldung von der Entführung der Be-220 publik geworden, waren alle russischen Kampfverbände im fernöstlichen Russland in Gefechtsbereitschaft versetzt worden.
In Wladiwostok wurde die Pazifikflotte keine Stunde nach der Meldung alarmiert. Zwei 8 500 Tonnen verdrängende Raketenschiffe der Sowremennij-Klasse, die Burnij und die Bezbojashennij, waren daraufhin sofort ausgelaufen. Auch die beiden großen U-Bootabwehrschiffe Admiral Tributs und Admiral Winogradow hatten die Leinen losgeworfen. Der Raketenreuzer Warjag wurde 80 Seemeilen weiter südlich vom Tanker Boris Butoma mit Treibstoff versorgt. Mit von der Partie war auch die neue Raketenkorvette Sowershennij, die zur neuen Steregushtshij-Klasse gehörte und als erstes Schiff der Pazifikflotte über Tarnkappeneigenschaften verfügte. Alle fünf Schiffe sollten als Kampfverband vor der nordkoreanischen Küste Position beziehen. Schließlich gab Admiral Seliwanow aus Moskau den Befehl, auch noch vier in Petropawlowsk-Kamtshatskij stationierte Mehrzweck-U-Kreuzer der Klassen 971 und 971U ins japanische Meer zu verlegen. Auch sechs kleine Raketenschiffe des Projektes 1241.1 und eine der Küstenwache unterstellte Fregatte, die Worowskij, verließen den Hafen. Die ganze Aktion hatte keine eineinhalb Stunden gedauert. Außerdem ging die 100. Infanteriebrigade an Bord der Landungsschiffe BDK-101 Osljabja, BDK-98, BDK-14 und BDK-11 Pereswet. Um diese Schiffe im Ernstfall zu eskortieren hatten sich die Raketenschiffe Boewoj und Bistrij sowie die U-Bootabwehrschiffe Marshal Shaposhnikow und Admiral Panteleew innerhalb von 48 Stunden auslaufbereit zu halten. Ihnen wurden zwei Patrouillien-U-Boote der Klasse 877 zugeteilt, die im Westen als Kilo-Klasse bekannt waren und für Besatzungen von Überwasserschiffen als der reinste Alptraum galten, eben weil sie unter acht Knoten kaum zu orten waren.
Die um Wladiwostok aufgestellen Luftabwehrkomplexe, die von S-300PMU Faworit zur Abwehr von Mittelstreckenraketen über Buk-M1 bis hin zu Ossa-M für den Objektschutz reichte, wurden in Richtung des möglichen Gegners Nordkorea gerichtet.
Die 11. Luftarmee bekam den Befehl, alle verfügbaren Flugzeuge zu bewaffnen und zu betanken. Das 530. Abfangjägerregiment mit MiG-31B in Sokolowka, und das 22. Jagdflieger-regiment mit Su-27SM startete umgehend Alarmrotten. Das 18. Schlachtfliegerregiment in Galenkij mit Su-25SM rief alle Piloten zurück auf den Stützpunkt. In Khurba und in Woshajewka wurden Frontbombenflugzeuge Su-24M2 für Präzisionsschläge vorbereitet und sollten von umgebauten Kampfzonentankern Su-24M versorgt werden. In Alarmbereitschaft versetzt wurden auch die 20. Raketenbrigade mit taktischen Raketen Totshka-U und die 129. und 319. Artilleriedivision wurden auf die Straße geschickt. Das alles war schon genügend Schlagkraft, um Nordkoreas Volksarmee erhebliche Verluste zuzufügen.
Die Befehle aus Moskau waren klar: Vorbereitungen treffen für umgehende Verteidigung sowie einen Angriff auf das Gebiet der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik ...


Freitag, 13. Juni 2014, Position 41°26'44.94"N, 132°01'04.72"O, Japanisches Meer,
KAPL, Projekt 971, K-331 Magadan


„Freitag, der 13.! Na super! Einen besseren Tag hätte sich dieser Versager Seliwanow für diese Übung garnicht aussuchen können ... “ Knurrend und schlecht gelaunt beugte sich Kapitän Ersten Ranges Mikhail Kredow über den Kartentisch und überlegte. Dann brüllte er voller Wut in den Sonarraum und überging damit einmal mehr das interne Kommunikationssystem.
„Fokin, habt ihr schon was drauf?“
„Negativ, Kapitän.“
„Himmel, Arsch und Leistenbruch!“, fauchte Mikhail seinen Ersten Offizier an. „Wo zum Teufel steckt der Kerl?“
Er bezog sich auf seinen alten Freund Kapitän Jefremow, der zur Zeit den neuen strategischen U-Kreuzer Aleksandr Newskij kommandierte. Dieses neue, in Sewerodwinsk gebaute U-Boot des Projektes 955A mit seinen 16 nuklear bestückten Interkontinentalraketen Bulawa-30 sollte bald in den Dienst der Pazifikflotte gestellt werden, aber vorher waren noch letzte Übungen abzuschließen. Darunter fiel auch die heutige Gefechtsübung, deren Hauptaufgabe es war, sich gegenseitig aufzuspüren und den jeweiligen Gegner versenken – simuliert natürlich.
K-331 Magadan war Mikhails erstes Kommado als Kapitän Ersten Ranges. Der atomgetriebene Mehrzweck-Unterwasserkreuzer war eines der bewährten Schlachtrösser der russischen Seekriegsflotte. Am 31. Dezember würde die Magadan genau 25 Jahre im Dienst der Pazifikflotte stehen. Sie gehörte zum Projekt 971 mit der Bezeichnung Shuka-B. Diese Klasse von sieben Jagdunterseebooten, die in den 1980er Jahren als Antwort auf die Los Angeles-Klasse der US-Navy entwickelt und gebaut worden waren. Sie galten als leiser als ihre US-Gegenstücke und waren fast doppelt so schwer bewaffnet. Die K-331 wurde 1983 als fünftes Boot der Serie in der Werft Amurskij Sudostrojtelnij Zawod in Komsomolsk auf Kiel gelegt, lief 1986 vom Stapel und wurde am 31. Dezember 1989 unter dem Namen Narwal in den Dienst der Pazifikflotte gestellt. 2003 wurde der Name in Magadan geändert, aus Gründen, die ihrem jetzigen Kommandanten immernoch schleierhaft waren. Aber er liebte sein Schiff. Die Magadan war immerhin 110 Meter lang, 14 Meter breit und brachte es auf eine Höhe von immerhin 17 Meter. Über Wasser verdrängte der U-Kreuzer gewaltige 8 150 Tonnen, unter Wasser war er mit 10 500 Tonnen Verdrängung faktisch größer als ein Aegis-Cruiser der Ticonderoga-Klasse. Bewaffnet war die Magadan mit mit 40 Torpedos, U-Bootabwehrrakten und Landzielmarschflugkörpern, die aus acht Torpedorohren – vier des Kalibers 533 Millimeter und vier weitere des Kalibers 650 Millimeter – abgefeuert werden konnten. Im getauchten Zustand sorgte der Druckwasserreaktor OK-9BM, der über zwei Turbinen GT3A mit insgesamt 47 600PS über eine Welle auf die Schraube wirkte, für eine Höchstgeschwindigkeit von 33 Knoten. Die maximale Tauchtiefe lag bei 600 Meter und die extrem strömungsgünstige Form sowie die doppelte Hülle sorgten dafür, dass das Boot unter 15 Knoten nicht zu hören war. Überhaupt genial war die Stabilität des Rumpfes. Die Klasse 971 hatte – wie alle Atom-U-Kreuzer die in Russland gebaut wurden – eine doppelte Hülle. Hinter der äußeren Hülle befand sich eine weitere innere Hülle aus fünf Zentimeter dickem Stahl. Das Boot konnte von zwei leichten oder einem schweren Torpedo gertoffen werden und sank dann trotzdem nicht. Der ganze Rumpf war mit schallschluckenden Kacheln bedeckt, die die Entdeckung durch Aktivsonar verhindern sollten. Um das Schiff zu einer voll einsatzfähigen Kampfeinheit zu machen, genügte eine Besatzung von 73 Mann. Mikhail Kredow konnte also zu Recht stolz auf sein Schiff sein, auch wenn es immerhin schon fast ein viertel Jahrhundert auf dem Buckel hatte.
Er konnte sich noch gut an die erste Fahrt unter seinem Kommando im Persischen Golf vor knapp einem Jahr erinnern. Damals hatte er den CVN-Verband um die USS Ronald Reagan verfolgt und beschattet, ohne das die Amerikaner das mitbekamen. Es war ihm auf der Rückfahrt sogar gelungen, sich bis auf 3 000 Meter an ein 19 000-Tonnen-Lenkwaffenunterseeboot der Ohio-Klasse, die USS Georgia heranzuschleichen und es mit einem Druckluftschuss aus einem Torpedorohr anzuhusten. Der Amerikaner hatte schnell und geräuschvoll das Weite gesucht. Noch immer wurde diese Geschichte unter russischen Besatzungen erzählt und löste jedes Mal brüllendes Gelächter aus. Allerdings war genau das, nämlich das Orten der Georgia, die härteste Nuss, die er je zu knacken hatte. Jetzt, gegen die Aleksandr Newskij, sah er ziemlich alt aus. Wenn die Ohio-Boote schon als leiser als ein schlafender Wal galten ... die Aleksandr Newskij war immerhin um eine ganze Generation moderner und 25 Jahre später vom Stapel gelaufen. Gegen die alten Boote des Projektes 667BDR hatte Mikhail leichtes Spiel gehabt, die waren immerhin 30 Jahre alt und standen kurz vor ihrer Ausmusterung.
Kapitänleutnant Juri Dimitrow schlug dem Kapitän freundschaftlich auf die Schulter.
„Wir werden ihn schon finden, Kapitän“, sagte er grinsend. „Sie wissen doch, wie die Offiziere über die 955er reden. Die können sich an einen Wal ranmachen und ihn vögeln, ehe er was merkt.“
Diese Äußerung löste in der Zentrale leises Kichern aus. Auch Mikhail musste unweigerlich grinsen und überlegte weiter.
Er kann nicht weit entfernt sein. Mein Gott, 24 000 Tonnen, und er ist verschwunden ... Verdammt, ich geh ins Irrenhaus!
Für den Kommandanten eines Unterseebootes war der 37 Jahre alte Mikhail fast zu groß. Bei einer Größe von einem Meter neunundachtzig brachte er fast 90 Kilo auf die Waage, allerdings kein Gramm davon Fett. Jeder in seiner Nähe, erst recht die jüngeren Rekruten, die ihre Ausbildung absolvierten hatten schon wegen seines Auftrittes gehörigen Respekt vor ihm. Es hieß, der große Kerl aus Petropawlowsk könnte uns alle mit einer Hand über Bord werfen. Mikhail war in Petropawlowsk-Kamtshatskij geboren und aufgewachsen. Mit 16 trat er 1994 in die Seekriegsflotte ein. Was waren das damals für schlimme Zeiten. Das Leben aller Menschen, die in der Seekriegsflotte der Russischen Föderation dienten, war schwer. Unter Jelzin brach das System fast vollkommen zusammen, erst recht am Pazifik. Monatelang wurde kein Sold bezahlt, die Schiffe lagen sinnlos an der Pier, weil die Seekriegsflotte meistens nicht einmal die Stromrechnungen der Hafenbeleuchtung bezahlen konnte. Unter Putin besserte sich diese Situation. 2007 bekam die Pazifikflotte nach zehn Jahren das erste neue U-Boot. Die K-152 Nerpa – die schon 1993 begonnen worden war. Auf diesem Boot fuhr Mikhail bis 2011 als erste Offizier um dann zunächst das Kommando über ein Patrouillen-U-Boot des Projektes 877, die B-494 Ust-Bolsheretsk, zu übernehmen. Mikhail gefiel dieses eher knuffige U-Boot, weil es nahezu perfekt zum Spionieren war, doch die dauernde Abhängigkeit von Diesel und das lautstarke Schnorcheln nervten ihn und so bat er um Versetzung. Er sollte nicht lange warten und bekam sein jetziges Schmuckstück.
Er beschloss, seine Fahrt noch weiter zu drosseln.
„Kurs eins-neun-sechs, Umdrehungen für fünf Knoten.“
Die Magadan driftete also knapp über der Thermoklineale leicht nach Südwesten ab und zog ihr Schleppsonar knapp unter dieser Schicht hinter sich her. Immerhin war sein Lohn drastisch gestiegen, seit Roshkow Pärsident war. Er verdiente zur Zeit genug, um sich einen 2006er GMC Yukon zu leisten.


15 000 Meter entfernt schlich der gewaltige strategische Unterwasserkreuzer Aleksandr Newskij mit sechs Knoten in 120 Metern Tiefe mit Kurs eins-acht-fünf dahin. Kapitän Juri Jefremow wusste genau, wo sich sein Freund herumtrieb. Er befand sich leicht versetzt vor ihm und würde seinen Kurs in drei Minuten kreuzen.
„Gehen Sie mit der Fahrt etwas rauf“, befahl Jefremow. „Wir gehen auf zehn Knoten und schleichen uns ran.“
Damit er nicht gehört wurde, ließ er die Aleksandr Newskij so dicht wie möglich unter die laute Oberfläche gehen. Als jedoch der Druck auf den noch neuen Rumpf abnahm, entspannte sich der Stahl, was zu einer leichten Ausdehnung führte. Das Resultat war ein sehr leises Rumpfknistern.


„Sonar an Zentrale“, meldete sich Leutnant Fokin aus dem Sonarraum. „Wir hatten ein schwaches Geräusch.“ Mikhail, der eben gegähnt hatte, war mit einem Schlag wieder hellwach.
„Verfolgen Sie´s, ich komme rüber“, sagte er und rannte in den Sonarraum.
Fokin deutete auf einen kleinen Fleck knapp unter dem Schatten auf dem Schirm.
„Winkelpeilung fünf Grad über uns, Entfernung etwa vierzehneinhalb Kilometer“, sagte er.
Mikhail umging erneut das interne Kommunikationsystem streckte den Kopf aus dem Sonarraum und blaffte seine Befehle in die Zentrale.
„Ruder steuerbord, bis Kurs null-null-eins anliegt! Umdrehungen für acht Knoten! Rohre eins und vier mit UGST-M laden und bewässern. Mündungsklappen noch nicht öffnen!“


„Kapitän, die Magadan wendet!“, meldete der Sonaroffizier. Jefremow hatte den Gegner da, wo er ihn haben wollte. Er hatte schon beim ersten Kontakt schussbereite Übungsgeschosse in den Rohren.
„Jetzt!“, wies er den Feuerleitoffizier an. „Rohre eins und zwei, Mündungsklappen öffnen, Feuer nach eigenem Ermessen!“
Der Feuerleitoffizier gab die letzen Werte in den Computer ein, der daraufhin den Angriff automa-tisch einleitete. 20 Sekunden später glitten zwei drahtgelenkte UGST-M aus den Rohren. Die Torpedos trugen keinen Gefechtskopf, allerdings war in ihrer Nase ein Gerät installiert, das alle Daten aufzeichnete.


„Kapitän, auf uns wird gefeuert! Direkt voraus, Entfernung achttausend Meter.“
„Der Mistkerl hat mich verarscht! Sofort runter auf hundertfünfzig Meter, dreißig Grad vorlastig, maximale Fahrt!“
Die beiden Turbinen jagten ihre insgesamt 47 600 PS auf die Antriebswelle und die Magadan beschleunigte während sie in die Tiefe jagte.
„Torpedos peilen uns an. Erster Torpedo bei null-null eins, Entfernung fünftausend, Geschwindigkeit fünfzig Knoten, gleichbleibend. Zweiter Torpedo bei null-null-zwei, Entfernung fünftausendzweihundert, ebenfalls bei fünfzig Knoten.
„Täuschkörper!“, blaffte Mikhail. „Direkt auf Gegenkurs gehen! Wir verkürzen die Entfernung, damit die Biester nicht scharf werden.“
Die Magadan und die beiden UGST näherten sich mit 83 Knoten.
Im selben Moment, als Mikhail dachte, sein Plan geht auf, wurde er enttäuscht.
„Torpedos wurden aktiviert und haben uns erfasst, Entfernung dreitausend“, meldete Fokin.
Von jetzt an war es egal, welche Ausweichmanöver sich Mikhail noch einfallen ließ, die Torpedos würden sein Boot treffen. Es sei denn ...
„Also gut“, sagte er und überlegte kurz. „Wir versuchen, sie zu unterlaufen. Nochmal Täuschkörper! Witali, so tief wie möglich runter und dann Notaufstieg!“
„Zu Befehl, Kapitän“, bestätigte Tauchoffizier Orlow. „Tiefe hundertfünfzig und dann anblasen.“
K-331 Magadan tauchte weg. Ein Torpedo wurde durch die beiden Täuschkörper verwirrt, der zweite jedoch hielt das U-Boot erfasst. Allerdings riss durch die starken Strömungsgeräusche der passive Kontakt ab.
„Erster Torpedo wird von Täuschkörpern abgelenkt, passiver Kontakt zu zweitem Torpedo abgerissen. Ich schalte auf Aktivsonar um."
Zu spät. Als Fokin den UGST endlich wieder erfasste, war der Torpedo keine 500 Meter mehr entfernt.
„Anblasen!“, fauchte Mikhail und in genau diesem Moment schlug das Übungsgeschoss auf das Vorderdeck der Magadan.
BONG!
Der dumpfe Schlag klang beinahe lächerlich. Eine Minute später schoss der riesige U-Kreuzer aus dem Wasser und fiel zurück. Mikhail war fuchsteufeltswild. Die Aleksandr Newskij pingte drei Mal mit Aktivsonar und lag keine 500 Meter Backbord querab auf Periskoptiefe. Mikhail stürmte zum Unterwassertelefon. Auf der Aleksandr Newskij meldete sich der Erste Offizier. Als dann endlich Jefremow dran war, zog Mikhail scharf Luft ein.
„Juri, du bist ein verdammter Mistkerl!“, schnauzte er und knallte den Hörer wieder auf die Halterung. Er wusste jedoch nicht, das Jefremow das Gespräch auf Lautsprecher gestellt hatte und jeder auf der Aleksandr Newskij den Anpfiff zu hören bekam.
Die Sonarleute der Magadan waren sich sicher, das Gelächter ihrer Kollegen hören zu können ...

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BURAN 17 Jahre 3 Monate her #10507

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Zur gleichen Zeit, Sunchon, KDVR

Ruslan und seine Besatzung waren zu den Zellen auf dem Stützpunkt gebracht worden und hatten Abends eine Schale Reisbrei und einen Becher Wasser bekommen. Die Zellen waren im wahrsten Sinne des Wortes unter aller Sau. Also ob sie seit dem Bau des Stützpunktes nie gesäubert worden waren. Es waren Betonzellen, zweieinhalb mal drei Meter groß mit einem Fenster ohne Glas, dafür mit Eisenstangen, einer muffigen, verschimmelten Decke und einem Eimer für die Notdurft. Den Weg zum Flur versperrte eine verrostete Eisentür mit einer Futterklappe. In den Zellen selbst stank es entsetzlich nach verwesendem Fleisch. Ein Blick bin den Abfluss in der hinteren rechten Ecke erklärte das warum, denn dort waren im Laufe der Jahre unzählige Ratten gestorben. Die Wachen bestanden aus sechs Mann. Jeweils zwei am Ost- und Westausgang und zwei liefen den Flur auf und ab. Am Nachmittag flog plötzlich die Tür auf und ein ranghoher Offizier der Luftstreitkräfte Nordkoreas trat hindurch. Der jüngere der beiden Rekruten im Flur stellte sich in seiner vollen Größe von einem Meter fünfundvierzig stramm und brüllte lautstark Befehle durch den Zellenblock.
Alles aufstehen! In Gegenwart des höchst ehrenwerten Oberbefehlshabers der Luftstreitkräfte der Koreanischen Volksarmme, Genosse General Pak Myong-Ku hat jeder zu stehen!
Die erschöpften Russen kämpften sich auf die Beine.
Vortreten an die Zellentüren!“, kreischte der kleine Soldat. „Sobald sie geöffnet werden, werdet ihr dem höchst ehrenwerten Genossen General Pak Myong-Ku eure Ehrenbezeigung machen!
„Reg dich ab, du kleiner Wichser“, murmelte Leutnant Shiguljew. „Nicht das du zu früh in den Stimmenbruch kommst.“
Glücklicherweise bekam das keiner der Nordkoreaner mit. Der sogannte Genosse schritt die Zellen ab, die jetzt von den Wachen geöffnet wurden.
„Wer ist der kommandierende Offizier?“, fragte General Myong-Ku auf Englisch.
Ruslan trat vor.
„Ah ... Sie sind also Kapitänleutnant Martirossow. Beachten Sie bitte, das diese Unterkunft nur vorübergehend ist. Sie werden in zwei Wochen in ein Lager im Norden verlegt. Bis dahin schlage ich vor, dass Sie sich kooperativ verhalten und unseren Experten beim Studieren ihres Flugzeuges helfen.“
Ich wette, du lebst bis dahin schon nicht mehr, dachte Ruslan und ergriff zum ersten Mal das Wort.
„Genosse General, darf ich darauf hinweisen, dass wir laut Genfer Konvention von 1949 lediglich dazu verpflichtet sind, Ihnen Rang, Namen und Dienstnummer mitzuteilen? Wir sind absolut nicht verpflichtet, etwas über unsere Waffensysteme preiszugeben. Das sind die Regeln für den Kriegsfall, die von sämtlichen Nationen akzeptiert worden sind. Ich meine natürlich von sämtlichen zivilisierten Nationen.“
„Zwei Dinge dazu, Kapitänleutnant“, zischte Myong-Ku. Erstens befinden wir uns nicht im Krieg mit Russland und zweitens waren mein Land und mein Volk schon auf höchsten Zivilisationsniveau, als Ihre Vorfahren noch Baumwurzeln gefressen haben.“
„Ist Ihnen überhaupt klar, wie die russischen Streitkräfte ihrer sogenannten Volksarmee zurichten können? Es wird Krieg geben, wenn Sie uns nicht freilassen, dafür garantiere ich. Und wenn das passiert, wird Ihr Land als eine Nation von miesen Verbrechern gebrandmarkt werden, weil wir alles, was hier passiert ist, miterlebt haben.“
„Ach wirklich?“, gluckste Myong-Ku amüsiert. „Kennen Sie die Kampfstärke der koreanischen Volksarmee und ihre defensiven sowie offensiven Kapazitäten?
„Ja, General, die kenne ich. Sie sind nämlich praktisch nicht vorhanden.“
Ruslan hatte Myong-Ku kalt erwischt. Der nordkoreanische General wusste nur zu gut, wie es wirk-lich um seine Luftstreitkräfte bestellt war. Ruslan war mit seinem Wortkrieg aber noch nicht fertig.
„Genosse General, darf ich Ihnen nun nach ehrenhafter Tradition der russischen Seekriegsflotte vorschlagen, dass Sie jetzt dieses komische kleine Stöckchen nehmen, das Sie da bei sich tragen, es sich in den Arsch schieben und dann mit diesem kleinen Wichser dahinten verschwinden?“
Der Nordkoreaner sprach zwar gut Englisch, doch er hatte die Sprache aussschließlich aus Lehr-büchern gesaugt, weshalb er der eher amerikanischen Art des russischen Piloten etwas ratlos gegenüberstand. Nicht jedoch der Leutnant, der an der Universität von Pjöngjang studiert hatte und sich genau mit westlichen Redewendungen auskannte. Sofort ging er wieder in die Luft.
Ihr seid Gefangene der Koreanischen Demokratischen Volksrepublik! Ihr werdet dem General nur mit allerhöchster Ehrerbietung begegnen! Ihr seid nur billige Verbrecher und Verräter, ihr seid Kriminelle in einem friedfertigen Land!
„Ach, halt's Maul, du Gartenzwerg!“, blaffte Shiguljew. „Wie friedfertig ihr seid, sehen wir gerade.“
Ruhe!“, brüllte Myong-Ku schließlich. „Kapitänleutnant Martirossow, denken Sie bloß nicht, es gäbe jemanden, der Ihnen jetzt noch helfen könnte. Ihre Regierung hat die Absicht, sie völlig aufzugeben, was mir wiederum die Gelegenheit verschafft, ihr Flugzeug zu analysieren.“
Damit drehte er sich um und stürmte aus dem Zellenblock.
Sei dir da nur nicht so sicher, du Arschloch, dachte Ruslan grinsend. Sei dir nur nicht so sicher ...


Samstag, 14. Juni 2014, Sewerodwinsk

Während neben den gigantischen Bauhallen die Rümpfe der neuen 50 000-Tonnen-Flugzeugträger Mikhail Sergejewitsch Gorbatshow und Boris Nikolajewitsh Jelzin langsam aber sicher Gestalt annahmen, fand in der kleineren Bauhalle der Werft Swesdotshka die Übernahme eines U-Bootes statt, das soeben die erste eineinhalbjährige Hauptintandsetzung und Modernisierung durchlaufen hatte. K-335 Gepard wurde langsam durch die riesigen Stahltore der Halle gerollt. Sie war der zweite von vier Mehrzweck-U-Kreuzern des Projektes 971M. Bisher waren sie auch die vier modernsten Mehrzweck-U-Kreuzer der Nordmeerflotte, denn am ersten Baumuster einer komplett neuen Klasse wurde erst seit einem Jahr in den Bauhallen der gegenüber liegenden Werft Sewernoje Mashinistroitelnoje Predprijadije, kurz Sewmash, gebaut. Auch K-335 war am 23. September 1991 in den letzten Wochen der Sowjetunion in dieser Bauhalle auf Kiel gelegt worden. 1998 sollte sie in Dienst gestellt werden, allerdings ließ die Finanzierung unter der Jelzin-Regierung dermaßen nach, dass die Arbeiten nur schleppend voran kamen. Dann besuchte jedoch der damals frischgebackene Premierminister Wladimir Putin die Werft und setze sich persönlich für den Weiterbau ein. Am 17. September 1999 wurde K-335 endlich aus der Bauhalle gerollt und nach umfangreichen Erprobungen am 05. Dezember 2001 in den Dienst der Nordmeerflotte gestellt. Damit war sie das erste neue Unterseeboot, das im 21. Jahrhundert in Russland in Dienst gestellt wurde. Auch Präsident Putin war bei der Feier zum Hissen der Flagge der Seekriegsflotte anwesend und bezeichnete diesen Tag kurzerhand als bedeutendes nationales Ereignis. In Wirklichkeit brauchte man einen Erfolg nach der Katastrophe von K-141 Kursk. Dieser Raketen-U-Kreuzer des Projektes 949A war am 12. August 2000 in der Barentssee gesunken, nachdem ein Treibstoffleck in einem Torpedo für die Explosion der gesamten Torpedosektion gesorgt hatte. 118 Mann gingen mit der Kursk unter. Das Wrack wurde schließlich 2001 gehoben und untersucht. In Folge dessen hatte sich Putin eine umfassende Modernisierung der russischen Streitkräfte stark gemacht und als Ansporn die Gepard fertigstellen lassen. Als K-335 endlich in Dienst gestellt wurde, lagen die anderen beiden Schiffe vom Projekt 971M allerdings unfertig in der Bauhalle. Am dritten Boot, K-333 Rijs, wurden die Arbeiten schon 1997 eingestellt und am zweiten Boot, der K-337 Kugar, 1998. Beide Rümpfe wurden unfertig konserviert, nur um die Gepard fertigzustellen. Die Werft setzte sogar eigene Gelder für ihre Fertigstellung ein, während die Regierungsgelder nur spärlich flossen. K-335 Gepard wurde auf Pump fertiggestellt.
Allerdings hatte das Konstruktionsbüro Makhalit, welches die 971-Serie von Anfang an weiterentwickelte, sein Versprechen gehalten. 1996 war mit K-157 Wepr der erste U-Kreuzer des Projektes 971M in Dienst gestellt worden. K-157 glich insgesamt dem Projekt 971U, welches die erste Modifikation des Projektes 971 war. Allerdings war K-157 zwei Meter länger mit nochmals verbesserter Geräuschdämpfung sowie überarbeitenen Sonar- und Feuerleitsystemen. K-335 Gepard war das zweite Boot der Klasse, sah jedoch etwas anders aus. Ihr Turm war vergrößert worden, während der Hohlkörper für das Schleppsonar auf dem hinteren oberen Seitenruder keliner war. Sie wurde zwar unter dem Projekt 971M geführt, war aber ein erneut modifizierter Entwurf mit wiederum verbesserten Gefechtsmöglichkeiten. Auch K-337 und K-333 waren nach diesem Entwurf fertiggestellt worden. In der NATO bekam das Projekt 971M die Bezeichnung Akula II.
Die Gepard war 112 Meter lang, 14 Meter breit und 18,60 Meter hoch. Auch Sie hatte den Druckwasserreaktor OK-650B, der über zwei Dampfturbinen GT3A über eine Welle die Schraube antrieb. Allerdings war die Bewaffnung fast doppelt so stark, wie auf den Booten des Projektes 971. Die Hauptbewaffnung bildeten acht Torpedorohre, wie üblich vier mit einem Kaliber von 533 Millimeter und vier mit 650 Millimeter. Allerdings gab es noch sechs Abschussrohre vom Kaliber 533 Millimeter, die außerhalb des Druckkörpers lagen. Aus diesen konnten entweder Marschflugkörper RK-55 oder U-Bootabwehrraketen 91RE1. Das Konstruktionsbüro Makhalit beabsichtige einst, bei einem Kampfsatz von 34 Torpedos weitere 12 Marschflugkörper auf dem U-Boot unterzubringen. Nun war jedoch in der Torpedosektion nur Platz für sechs Stück, die aus den normalen 533er Torpedorohren abgefeuert werden konnten. Kurzerhand entschied man sich, weitere sechs Abschussrohre außerhalb des Druckkörpers unterzubringen. Sie konnten zwar nur von außen, also im Hafen, nachgeladen werden, aber die Kapazität von 12 Marschflugkörpern wurde so ohne weitere Probleme erreicht. Meistens führte die Gepard ohnehin nur sechs RK-55 in diesen Abschussrohren mit und konnte so einen Kampfsatz von 40 Torpedos aufnehmen.
Die Gepard wurde der 24. Division der Nordmeerflotte in der Saida-Bucht in Gatshijewo zugewiesen, die im Flottenchargon auch Wildtier-Division genannt wurde. 2007 wurde sie das Flaggschiff des Verbandes.
Der gerade erst zum Kapitän Ersten Ranges beförderte Aleksei Musatenko stand stolz auf der Turmbrücke des Kollosses und beobachtete das Geschehen. Gerade erst eine Woche lang hatte er dieses erste Kommando. Er konnte sich noch genau an das Gespräch mit Admiral Mushketow am letzten Sonntag erinnern. Bis dahin war er nämlich die Nummer eins auf K-117 Brjansk gewesen, einem strategischen 18 200-Tonnen-U-Kreuzer des Projektes 667BDRM, der gerade erst von einer zweimonatigen Patrouille im Arktischen Ozean zurückgekehrt war. Nachdem die Brjansk festgemacht hatte kam Kapitän Smirnow zu Alex geeilt und sagte ihm, er solle sich sofort in Seweromorsk melden. Alex fuhr also zum Hauptquartier der Nordmeerflotte und klopfte an die Bürotür ihres Oberbefehlshabers. Kaum war er drin, drückte Mushketow ihm eine Scheibe Brot mit Kaviar in die Hand, ließ von seiner Sekretärin zwei riesige Tassen mit Früchtetee – wie er sich ausdrückte – bunkern und sagte dem von der Begrüßung völlig überraschten Alex eine Nachricht, die ihn fast in Ohnmacht fallen ließ. Alex war nicht mal dazu gekommen, vor dem Admiral zu salutieren und binnen zehn Sekunden hatte er das Kommando über ein eigenes Unterseeboot bekommen.
„Ich habe mir gestern Ihre Akte angesehen“, hatte Mushketow breit grinsend gesagt. „Kapitän Smirnow persönlich hat Sie mir empfohlen. Ihre taktischen Entscheidungen während des letzten Herbstmanövers haben nicht nur ihren Kommandanten überzeugt.“
Alex erinnerte sich zurück. Im Herbst 2013 sollte die Brjansk eine Barriere von Überwassereinheiten durchbrechen – unbemerkt natürlich. Als jedoch ihr Weg durch den Raketenkreuzer Marshal Ustinow gekreuzt wurde, hatte Alex dem Kapitän kurzerhand vorgeschlagen, das Schiff mit Übungstorpedos zu versenken.
Ein Raketenkreuzer der von einem strategischen Unterseeboot versenkt wurde – eine noch größere Blamage konnte sich die Besatzung der Marshal Ustinow nicht vorstellen.
„Kapitän Belkow von der Marshal Ustinow ist immer noch sauer auf Sie“, lachte Mushketow, der den Blick auf die Akte von Alex gerichtet hatte.
„Admiral“, sagte Alex immer noch baff, „das war nur ein Manöver. Wer weiß, wie dass im Krieg ausgesehen hätte.“
„Ach was“, hatte der Admiral abgewinkt. „Leute wie sie verdienen sich ihr Kommando. Sie sind keines von diesen Weicheiern, die ihr Kommando durch Beziehungen bekommen und versagen wenn es brenzlig wird. Melden Sie sich Montag früh auf der Werft Swesdotshka, dass ist ein Befehl. Und jetzt beißen Sie endlich in ihre Schnitte, bevor ich sie Ihnen reinstopfen muss.“
Grinsend dachte Alex an die Worte des Admirals. Er war jetzt 34 Jahre alt und er wahr froh, es so jung so weit gebracht zu haben. Er war in der Kälte Nordrusslands in Murmansk aufgewachsen und ging 1995 auf die Akademie nach Sankt Petersburg. Dort besuchte er verschiedene Einheiten der Baltischen Flotte und seine Karriere begann schließlich als Matrose auf dem großen U-Bootabwehr-schiff Neustrashimij. Die war zum damaligen Zeitpunkt erst vier Jahre alt und eine der Vorzeigeein-heiten der Seekriegsflotte. Ihr Schwesterschiff Jaroslaw Mudrij wurde erst 2008 in Dienst gestellt und ein drittes Schiff der Klasse unfertig verschrottet. Dann wurde Alex nach einem Lehrgang für U-Bootjagd zurück zur Nordmeerflotte versetzt und kam als Sonaroffizier auf den gewaltigen strategischen 26 500 Tonnen-U-Kreuzer des Pojektes 941UM. Diese mit 20 nuklear bestückten Interkontinentalraketen bewaffneten Monster waren bis heute die größten jemals gebauten Unterseeboote. Bis 2002 diente Alex auf TK-17 Arkhangelsk und wurde dann Waffensystemoffizier auf TK-208 Dimitri Donskoj, welche damals zur Erprobung der Bulawa-Raketen umgerüstet worden war. Er wurde schnell zum Experten für Waffensysteme und Nukleartechnologie und kam 2010 schließlich als erster Offizier auf K-117 Brjansk. Deren Kommandant sah in Alex eher einen Jäger, für den das dauernde Versteckspiel der strategischen U-Kreuzer einfach nichts war. Strategische Raketenträger hatten Gefahren aus dem Weg zu gehen und langsam, still und leise dahin zu treiben.
Kapitän Smirnow überließ Alex gern das Kommando, der junge Offizier war einfach dazu geboren, U-Boote zu kommandieren. Im Nordmeer wurden sie oft von amerikanischen Jagd-U-Booten verfolgt, doch Alex drehte den Spieß einfach um. Er hetzte die Amerikaner gnadenlos, und zwar nicht, wenn die Bedingungen günstig waren, sondern wenn ihm der Sinn danach kam. Daher fiel beim Flottenkommando auch die Entscheidung, ihm einen Mehrzweck-U-Kreuzer der Klasse 971M zu überlassen.
Alex hatte sich dieses Kommando über das Flaggschiff der Wildtier-Division mehr als verdient, denn er tat genau das, was einige Admirale immer noch verfluchten: Er spielte nach westlichen Regeln.
Er blickte nach Steuerbord, und es tat ihm in der Seele weh, die gewaltige TK-208 so zu sehen, wie sie aufgebahrt auf ihr Schicksal wartete. Was würde aus dem U-Kreuzer werden, dem Alex einen Großteil seines Wissens verdankte? Ein gewaltiger nuklearer Schrotthaufen? Ein Unterwasserfrachter? Oder würde es als Mahnmal russischer Ingenieurskuns der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden? Alex schüttelte den Kopf. Kriegsschiffe hatten heutzutage kaum ruhmreiche Schicksale ...
Er schüttelte erneut den Kopf und wandte sich an den neben ihm auf der Brücke stehenden Werftdirektor. Dem war alles andere als wohl bei dem Gedanken, eines der modernsten Untersseeboote der Flotte diesem jungen Spund zu überlassen.
„Nur keine Sorge, ich werd Sie schon nicht zu Schrott fahren“, sagte Alex mit einem gequälten Grinsen. Werftdirektor Arbanow nickte nervös. Alex konnte sich denken, wieso. Arbanow war ein Finanzhai, der den Kapitalismus in den Neunzigern anscheinend mit Löffeln gefressen hatte. Das hier war für ihn nur Zeitverschwendung. Ihm war nur das große Geschäft wichtig. Nach Alex' Meinung hatte er die Flotte bei einigen Aufträgen über den Tisch gezogen und das Volk um Milliarden von Steuergeldern betrogen. Gewiss, Swesdotshka lieferte hevorragende Arbeit ab und die Techniker von Makhalit sorgten dafür, dass die Seekriegsflotte für die 550 Millionen Rubel teure Modernisierung auch ausgezeichnete Qualität bekam, doch dieser Arbanow war dem gesamten Flottenstab ein Dorn im Auge.
„Ach was, Kapitän. Ich sagte schon zu Admiral Mushketow, das die Gepard bei Ihnen in besten Händen ist.“
Du Schwein!, dachte Alex. Du prahlst vor dem Admiral, dass du über meine Tauglichkeit befindest. Ich würde dir kein Schlauchboot in der Flaute anvertrauen, geschweige denn diese Werft! Alex rang sich ein weiteres Grinsen ab und drehte sich weg. Werftdirektoren sollten eigentlich etwas von Schiffen verstehen. Aber dem ging es nur um Kohle.
Und das alte System war korrupt?, dachte Alex. Mag ja sein, dass es nicht perfekt war, aber die Flotte bescheißen, sowas hat´s da nicht gegeben ...
Der mächtige Rumpf der Gepard bewegte sich weiter in Richtung Schleuse. Alex konnte es kaum erwarten, den Amerikanern ein paar Streiche zu spielen. Die neuen Sonarsysteme und die überarbeitete Reaktorpumpe würden möglichen Gegnern das Leben schwer machen.


Sonntag, 15. Juni 2014, National Security Agency,
Fort Meade, Maryland


Admiral Bill Constanzo staunte nicht schlecht. Das war die größte Aktion der russischen Pazifikflotte seit 1990. Er wusste natürlich, dass Nordkorea ein russisches Militärfluzeug in seiner Gewalt hatte. Das Nordkorea es nicht so schnell aus der Hand geben würde, ohne dafür irgendetwas Brauchbares zu bekommen, wusste er auch. Er hatte jedoch gelaubt, dass die Russen die Sache auf diplomatischem Weg erledigen würden. Stattdessen bewiesen Satellitenfotos das Gegenteil. Die halbe Pazifikflotte war ausgelaufen, die andere Hälfte hatte laut Infrarotaufnahmen die Maschinen laufen. Alle Boomer (U-Boote mit ICBM), egal ob Nordmeer- oder Pazifikflotte, hatten offenbar einen Rückruf erhalten. Stattdessen waren vier Hunter-Killer der Akula-Klasse aus Petropawlowsk ausgelaufen jagten mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung Japanisches Meer. Ein weiteres lag auslaufbereit in Wladiwostok. Dabei hatten die Russen nur sieben davon bei der Pazifikflotte.
Es war eine Operation, die Tom Clancy's Jagd auf Roter Oktober vom Schema her alle Ehre gemacht hätte.
Allerdings war da nicht nur die Flotte. Zwei komplette russische Artilleriedivision standen entlang des 15 Kilometer breiten russisch-nordkoreanischen Grenzstreifens. Eine Panzerdivision war im Anmarsch und zwei Bombenflieger- sowie ein Schlachtfliegerregiment hatten Gefechtsbereitschaft gemeldet. Eine russische Offensive gegen Nordkorea? Constanzo wischte den Gedanken zur Seite.
Unmöglich, dachte er. Die waren doch mal die besten Freunde ... Obwohl ... sie waren ... Aber wie würde es aussehen, wenn Russland ein kommunistisches Regime auslöscht, während die USA im Nahen Osten von ein paar Kameltreibern eins auf den Deckel bekommen? Wir sollten die Sache im Auge behalten ... Am Ende verbündet sich Südkorea mit denen und dann stehen wir praktisch ohne militärischen Einfluss in dieser Region da, sehen wir mal von Japan ab ...
Er nahm den nächsten Hefter mit Satellitenaufnahmen des europäischen Teils der Russischen Föderation.
„Meine Fresse!“, stieß Constanzo hevor. Die verlegen zwei Luftlandedivisionen! Wohin? Nordkorea? Unmöglich! Das wäre zu Kommunisten-Zieten möglich gewesen ... Aber heute? Sind die dazu noch in der Lage? Okay, in Anbetracht desse, was dieses Arschloch Roshkow in die russische Rüstung investiert ... Wie viele Candids haben die denn? Aha ... dreihundert ... na dann geht´s natürlich ... Ich geb das besser nach oben weiter ... Sollen sich die Versager im Pentagon damit rumschlagen, ich geh eh bald in Rente ...


Zur gleichen Zeit, Kreml, Moskau

... gibt es noch immer keine offizielle Stellungnahme zur Notlandung eines U-Bootjagdflugzeuges der Pazifikflotte in Nordkorea. Die nordkoreanische staatliche Nachrichtenargentur KCNA behaupetet gestern, das Flugzeug sei nach einem Triebwerksausfall von Jägern der nordkorea-nischen Luftstreitkräfte auf einen Stützpunkt eskortiert worden, wo man die notwendigen Defekte reparieren will. Ein japanischer Walfänger dagegen soll einen Funkspruch der russischen Maschine aufgefangen haben, in dem das Flugzeug meldet, es werde von nordkoreanischen MiG-29 angegriffen ...
Roshkow stellte den Ton des Fernsehers aus.
„Wie hat Nordkorea auf unsere Forderung reagiert?“
„Die meinen, das Flugzeug hat einen Triebwerksschaden und hätte um Hilfe gebeten“ sagte Admiral Seliwanow. „Allerdings haben mehrere unsere Stützpunkte und Flughäfen gehört, wie von einem Angriff durch nordkoreanische Jäger die Rede war.“
„Das war mir schon irgendwie klar ... “
In diesem Moment kam General Grubow in den Lageraum gestürzt.
„Wir haben sie!“, japste er und ließ einen Ordner auf den Tisch knallen. „Die Be-220 steht in Sunchon, bei Pjöngjang. Man kann Fahrzeuge und Menschen erkennen. Die sind offenbar dabei, die Maschine auseinander zu nehmen.“
„Und was können wir machen? Haben die Koreaner irgendwelche Forderungen gestellt?“
„Noch nicht, aber ich denke, das wird nicht mehr lange dauern.“
„Sind wir überhaupt in Lage, Nordkorea zu besiegen, sollte es zum Krieg kommen?“
„Nun, Herr Präsident“, begann Jurij Iwanowitsh. „Wir müssen die veränderte geopolitische Lage berücksichtigen. Nordkorea rüstet zwar auf, aber gleichzeitig wird sein Verteidigungsetat immer kleiner. Die sind in einer schlimmeren militärpolitischen Lage, als wir in den Neunzigern. Das Land kann keine moderne militärische Ausrüstung importieren. Ein Großteil ihrer Ausrüstung stammt aus den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, die sie entweder von uns oder aus China haben. Sie setzen auf die alte Sowjet-Strategie, also Führung eines Blitzkrieges mit großen materiellem Einsatz. Darunter fällt der Offensivanteil auf eine beachtliche Anzahl Artilleriege-schütze und Mittelstreckenraketen, die für uns jedoch keine große Gefahr sind, weil sie auf Südkorea gerichtet sind. Unsere Kräfte im Fernen Osten reichen aus, um Nordkorea militärisch soweit zu Schwächen, dass Südkorea problemlos durchmarschieren kann.“
„Und die US-Streitkräfte auf der koreanischen Halbinsel?“, fragte der Präsident.
„Die werden sich vermutlich auf die Verteidigung Südkoreas beschränken. Die Koreaner sehen die Wiedervereinigung als innere Angelegenheit an. Die Amerikaner sind nur da, um der Sache Nachdruck zu verleihen. Wenn wir Verstärkungen brauchen, können wir notfalls Kräfte aus Zentralrussland abziehen. Wir würden ähnlich vorgehen wie die Amerikaner 1991 bei der Operation Desert Storm gegen den Irak. Zuerst feuern wir Marschflugkörper und Mittelstrecken-raketen auf gegnerische Radaranlagen und Flugplätze ab. Danach säubern unsere Abfangjäger den den feindlichen Luftraum und machend en Weg frei für die taktischen Bomber der Frontflieger-kräfte. Unsere U-Boote blockieren die Häfen und versenken alles, was auslaufen will oder kann. Wir und Südkorea haben eine günstige militärische Position gegenüber Nordkorea, das sich zwei hochgerüsteten und modernen Armeen gegenübersieht. Durch die relativ kurzen Enfernungen können wir auf Flugzeugträger verzichten und zur Zeit haben wir sowieso nur einen davon. Nordkorea ist zwischen uns und Südkorea eingekesselt.“
„Und was ist mit den Chinesen?“, fragte General Petrowitsh. „Auch, wenn die sich mit Nordkorea nicht mehr sogut verstehen, werden sie nicht begeistert sein, wenn Südkorea, die USA oder wir wir in dieser Region nicht nur politischen, sondern militärischen Einfluss gewinnen.“
„Die Chinesen werden nicht handeln. Sie haben sich vertraglich verpflichtet, keine offensiven Handlungen gegen andere Länder zu unternehmen.“
„Das haben wir auch“, warf Admiral Seliwanow nachdenklich ein.
„Ja, aber vergessen Sie nicht, dass Nordkorea die Chinesen und uns einst gegeneinander ausgespielt hat. Die Chinesen sind sicher auch sauer. Sie werden nichts unternehmen. Und wenn doch, pusten wir sie zurück in die Ming-Dynastie.“


Zur gleichen Zeit, Sewerodwinsk

K-335 Gepard lag an der Pier der Werft Swesdotshka, wo jetzt letzte Feineinstellungen der Waffensysteme vorgenommen wurden. Alex hatte sich seine Mannschaft neu zusammenstellen dürfen und hatte in allen Bereichen nur die fähigsten Leute ausgewählt. Er war jetzt Herr über 73 Mann, davon 25 Offiziere und 12 Rekruten, die gerade erst von der Akademie gekommen, in ihren Bereichen aber die jeweils Klassenbesten waren. Er hatte das beste Unterseeboot, dass die Nordmeerflotte aufbieten konnte. Seit auch russische Unterseeboote Patrouillen von bis zu drei Monaten Dauer durchführten, hatte sich der Ausbildungstandard der Besatzungen enorm verbessert. Jetzt galt es zu beweisen, was die schwimmende Raubkatze nach ihrer Modernisierung zu bieten hatte. Und Alex war entschlossen, dieses Boot wenn nötig durch die Hölle zu schicken – auch wenn diese etwas zu tief lag, denn die Tauchtiefe der Gepard lag bei maximal 600 Meter.
Alex saß auf dem Stuhl in der Zentrale etwa so, wie Captain Kirk auf der Brücke der Enterprise. Etwas erhöht, damit er alles überblicken konnte. Die Zentrale war ebenfalls komplett modernisiert worden. Die alten Röhrenbildschirme waren durch neue LCD-MFD ersetzt worden, Analoginstrumente waren Digitalanzeigen gewichen. Das Angriffsperiskop war kein Sehrohr mehr, sondern am Periskopmast war eine Kamera installiert, die das Bild auf einen ausklappbaren 21-Zoll-LCD-Bildschirm übertrug.
„Wiktor, machen Sie einen Diagnose der Waffenleitsysteme“, wieß Alex den Waffensystemoffizier Petshkin an. „Ich gehe mal nach vorn, um nachzuschauen wie´s läuft.“ Mit diesen Worten erhob er sich aus seinem Stuhl und ging nach vorn in die Sektion eins, die Torpedosektion. Die Torpedoschienen, auf denen die tödlichen Geschosse normalerweise befestigt wurden, waren noch leer. Waffen würden erst in Gadshijewo übernommen werden. Auch die sechs Abschussrohre für RK-55 waren modifiziert worden und konnten jetzt auch Raketen des Komplexes Klub-S einsetzen.
„Wie sieht´s aus?“, fragte der Kapitän den Werftarbeiter, der hinter dem Torpedogestell herumschraubte. „Probleme?“
„Nein, Kapitän. Nur eine leckende Dichting.“
„Sie wissen, dass ich Wasser in einem U-Boot hasse“, sagte Alex. „Es sei denn, ich dusche oder wasche mir die Hände.“
„Keine Sorge, Kapitän. Diese Dichtung dient der Trinkwasserversorgung. Es tritt kaum etwas aus, aber ich habe den Gummiring gewechselt.“
„Na dann ist gut. Überprüfen Sie bitte alle anderen Dichtungen für Trinkwasser. Nicht das uns auf See alles ausgeht.“ „Jawohl, Kapitän.“
Alex ging nach hinten, durchquerte die Zentrale und lief zum Turbinenraum. Er durchquerte auch die Sektion mit dem Reaktor. Er warf dabei einen kurzen Blick durch das Fenster im Bleimantel und stellte zufrieden fest, das alles in bester Ordnung war. Dann ging er weiter nach hinten. Chefingenieur Jurij Bugajew saß zufrieden an seinem Schaltpult und hörte durch seine Kopfhörer hämmernden Rock.
Dem geht's gut, dachte Alex und schlich sich heran. Dann tippte er dem Kapitänleutnant auf die Schulter. Bugajew sprang vor Schreck auf und knallte mit dem Kopf gegen das Dampfrohr über ihm.
„AU! Verdammt, welcher Vollidiot ... “ Er brach den Satz ab, als er den Kapitän grinsen sah und nahm die Kopfhörer ab, aus denen John Parr's St. Elmos Fire plärrte.
I can climb the highest mountain, cross the wildest sea, I can feel St. Elmo's Fire burnin' in me ...
„Der Vollidiot bin ich, Jurij“, lachte Alex und begutachtete die Anzeigen. „Alles in Ordnung hier?“
„Ja, Kapitän“, sagte Bugajew, während er sich den Kopf rieb. „Ich war gerade ... “, versuchte er sich zu rechtfertigen.
„ ... beschäftigt“, beendete Alex den Satz. „Ist schon in Ordnung, Jurij. Ein bisschen Unterhaltung muss sein und außerdem sind wir nicht im Einsatz. Also kein Problem.“
„Danke, Kapitän.“
„Wie geht´s dem Antrieb?“, fragte Alex und deutete mit dem Kopf auf die Anzeigen.
„Allmählich können wir die Turbine auf Touren bekommen, aber der Hilfsdiesel macht mir Sorgen“, sagte Bugajew.
„Läuft der immer noch nicht rund?“
„Nein. Wir schrauben seit vorgestern an dem Ding. Vorhin sprang er zwar an, ist aber wieder abgesoffen.“
„Ich ruf nochmal dieses Arschloch Arbanow an“, murmelte Alex, dem es vor dem Anruf graute. „Es kann nicht angehen, dass wir ohne Hilfsantrieb rumschwimmen, sollte es Probleme mit der Haupt-anlage geben.“
„Dann sagen Sie ihm einen schönen Gruß von mir“, grummelte Bugajew. „Wenn er mir vor´s Auto läuft, kann es passieren, dass ich die Bremse nicht finde ... “
Kichernd nahm Alex das Mikrofon.
„Kapitän an Zentrale, holen Sie Arbanow her. Sagen Sie ihm, es ist wichtig.“
Zu Befehl, Kapitän“, kam es aus dem Lautsprecher.
„Warum, mussten die ausgerechnet den zum Direktor dieser Werft ernennen“, jammerte Bugajew und langte sich mit der Hand an den Kopf. „Der Typ kann einen Reaktor nicht von einem Heißluftofen unterscheiden, aber wir lassen in seiner Werft unsere U-Boote überholen.“
„Ich weiß, was Sie meinen, Jurij“, sagte Alex und verdrehte die Augen. „Der hat sich diese Stellung auch bloß erkauft. Arbanow war übrigens war selbst bei der Seekriegsflotte.“
Bugajew's Augen weiteten sich fast auf den Durchmesser der Torpedoluken.
„Sie machen Scherze, Kapitän.“
„Oh nein, was Arbanow angeht mache ich keine Scherze“, fuhr Alex fort. „Er war Koch auf B-534 Nishnij Nowgorod, bis er wegen seiner Inkompetenz rausgeschmissen wurde. Aber er hatte eben genug auf der Kante, um sich aus allem rauszukaufen.“
„Auf was bezog sich seine Inkompetenz?“, fragte Bugajew interessiert.
„Erinnern Sie sich an den Beinahe-Reaktorunfall auf der Nizhnij Nowgorod?“
„Ja, ich glaube nicht, dass ich das jemals vergessen werde.“
„Arbanow hatte verkrustete Töpfe und ein wahnwitziger Ingenieur riet ihm, sie unter heißem Dampf zu reinigen. Und dieser Idiot marschierte doch tatsächlich zum Dampferzeuger und wollte ein Inspektionsventil aufdrehen.“
„Na klasse!“ Bugajew schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Er hat den ganzen Tag Schnittchen geschmiert und hat keine Ahnung von U-Booten.“
„Jedenfalls kam im selben Moment, als Arbanow das Ventil aufdrehen und die Töpfe darunter halten wollte, der Reaktoroffizier vorbei und warf sich auf ihn.“
„Glück gehabt.“
„Allerdings.“ Auf Alex Stirn bildeten sich langsam aber sicher Gewitterwolken.
„Und wie hat Arbanow sich rausgeschwindelt?“, fragte Bugajew neugierig.
„Er war ganz einfach der verwöhnte Sohn eines Ölmilliardärs“, erzählte Alex weiter. „Er hatte alles. Einen VW Touareg, eine Freundin, die zwar hübsch aber strohdoof war – mit der er jetzt übrigens verheiratet ist, ein Neubauhaus in Seweromorsk, einfach alles. Ich will garnicht wissen, mit wie viel Schadenersatz er die Flotte geschmiert hat. Angeblich hat er die zur gleichen Zeit stattfindende Instandsetzung von B-336 Pskow zu einem Fünftel mitbezahlt. Da sehen sie mal, wie viel Geld der Mistkerl hat. Obwohl ihn die Admiralität am liebsten an die Wand gestellt hätte, hat man das Geld genommen, allein schon, weil die Instandsetzungen an den 945er Booten wegen dem Titanrumpf so teuer sind und die Kohle knapp war.“
„Und wie hat er es zum Direktor der Werft gebracht?“, fragte Bugajew und blickte finster in Richtung der Reaktoranzeigen.
„Sie meinen wohl, wie er sich diesen Job gekauft hat?“
„Genau.“
„Ganz einfach. Da er an die Flotte Unmengen Schadenersatz bezahlt hat, dachte man, ihn weiter ausnutzen zu können, was auf Dauer für ihn die schlimmere Strafe gewesen wäre. Man dachte, für diesen Beinahe-GAU auf B-534 könnte man Schiffe in der Werft zu Sonderpreisen reparieren lassen, und eine Zeit lang funktionierte das auch.“
„Aber dann hat Arbanow den Spieß umgedreht?“
„Bingo“, gab Alex dem Chefingenieur Recht. „Nachdem Roshkow den Kreml übernommen hatte und der Wert des Rubel anstieg, sank natürlich die Inflation. Dabei kam einiges durcheinander. Hätte die Instandsetzung von K-328 Leopard vor Roshkow fünfzehn Milliarden Rubel gekostet, kostete sie nur noch sechshundert Millionen. Und das hat sich Arbanow zunutze gemacht. Er hat die Preise erhöht und das mit der besseren Bezahlung und Moral der Arbeiter begründet.“
„Seit die mehr Geld bekommen, liefern sie aber weitaus bessere Arbeit ab“, warf Bugajew ein.
„Das stimmt schon, aber das ist kein Grund, die Preise weiter zu erhöhen und die Landesverteidigung über den Tisch zu ziehen. Die Werft hat Milliarden verdient, aber das Geld wanderte in nicht kleinen Summen in Arbanow's Taschen.“
„Dürfen Sie mir das überhaupt erzählen?“
„Eigentlich nicht, aber Sie sollten wissen, wer Arbanow wirklich ist."
Zentrale an Kapitän Musatenko“, knarzte es aus dem Lautsprecher. „Arbanow erwartet Sie in seinem Büro.
„Danke, bin gleich drüben“, gab Alex knapp zurück und fügte an Bugajew gewandt hinzu: „Drehen Sie die Musik ruhig wieder auf. Solange der Diesel nicht richtig läuft, verlasse ich den verdammten Hafen nicht.“
Damit rauschte Alex zur hinteren Ausstiegsluke und kletterte aufs Achterdeck. Dann ging er über die Gangway auf die Pier und stürmte in Richtung Verwaltungsgebäude.
Zwei Minuten später klopfte – hämmerte traf es wohl besser – an die Bürotür von Arbanow.
„Kommen Sie rein, Kapitän.“ Alex atmete tief durch, um dem arroganten Werftdirektor nicht gleich unter seinen Schreibtisch zu brüllen. „Danke, dass Sie mich so kurzfristig nochmal empfangen, Herr Direktor.“
„Keine Ursache, Kapitän. Setzen Sie sich.“
Alex ließ sich in einem Sessel vor Arbanow's Schreibtisch nieder.
„Der Hilfsdiesel mach Zicken“, begann Alex, bevor Arbanow die Frage stellen konnte, wieso Alex hier war. „Erst sprang er nicht an, dann doch, aber er ging gleich wieder aus.“
„Unmöglich“, sagte Arbanow. „Die Gepard hat eine Grundinstandsetzung hinter sich. Sie haben ein praktisch neues Unterseeboot bekommen.“
„Dessen bin ich mir bewusst, Herr Direktor. Aber schicken Sie bitte ein paar Techniker runter, die sich das mal ansehen.“ Alex bemühte sich um einen möglichst netten Tonfall, schaffte es aber nicht einen säuerlichen Unterton zu unterdrücken.. Außerdem war dieser Unterton nur ein Bruchteil dessen, was er wirklich dachte.
Wirft dieser dämliche Ignorant mir etwa vor, ich hätte keine Ahnung?

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BURAN 17 Jahre 3 Monate her #10508

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Eine Stunde später, Bolshoj Kamen, Wladiwostok

Um 21 Uhr – es war 14 Uhr in Moskau – hielten sich einige Besatzungsmitglieder von K-331 Magadan in dem neuen Freizeitcenter am Hafen auf. Der riesige Flachbau war ausnahmslos für Angehörige der Seekriegsflotte und ihre Familien. Es gab eine Discohalle, drei Restaurants, ein Fitnessstudio, einen Pool und insgesamt vier Bars. Eine für den Freizeitbereich des Militärs zuständige Organisation hatte dafür gesorgt, dass jede Flotte einen solchen Komplex bekam.
Das simulierte Gefecht zwischen Aleksandr Newskij und Magadan war gleichzeitig ein Erfolg und eine Pleite gewesen. Der Erfolg war ohne Zweifel das Orten der Aleksandr Newskij, die Pleite war die anschließende Versenkung der Magadan. In der Podwodnaja Lodka Guba, einer bei Unterseeboot-leuten sehr beliebten Bar – in der viele Speißen und Getränke aus aller Welt serviert wurden – saßen 23 Besatzungsmitglieder der Magadan, unter ihnen auch Mikhail Kredow, der inzwischen beim dritten Eisbecher mit Schokolade saß. Nebenbei versuchte er seine schlechte Laune über die Ge-fechtsübung mit Eiskaffee runter zu spülen.
„War es denn so schlimm, Misha?“, fragte Natalia Shukowa, die 25 Jahre alte Bedienung, während sie hinter der Bar die Gläser spülte.
„Darf ich dir leider nicht sagen“, antwortete Mikhail mürrisch. „Geheimsache.“
„Oh, verstehe“, sagte Natalia gut gelaunt. „Es bringt aber auch nichts, wenn du hier rumsitzt und dich mit Eis zustopfst, bis es dir zu den Ohren rauskommt.“
„Also gut“, seufzte Mikhail und versuchte zu lächeln. „Jurij hat uns versenkt, aber mehr kann ich nicht sagen.“
„Was ist daran so schlimm, Misha?“,fragte Natalia grinsend. „Du gewinnst doch sonst immer. Man muss auch mal verlieren können. Denk dran, aus Fehlern wird man klug.“
„Aus diesen 955er Booten wird man nicht klug, du Stupsnase“, krächzte Mikhail, der sich eben am Eiskaffee verschluckt hatte. „Die sind so verdammt leise, das nicht mal die Amis es geschafft haben, eins zu verfolgen. Jewgenij Pawlow soll es geschafft haben. In der Barentssee hat er die Jurij Dolgorukij geortet und fünfzig Minuten lang verfolgt, aber dabei hatte dieses Boot einen Turbinenschaden.“
„Die Geschichte kenn ich schon“, sagte Natalia mit nachdenklicher Miene.
„Woher?“ Mikhail sah sie an. Sowas durfte sie eigentlich garnicht wissen.
„Von seinem Ersten. Wenn man eine Flasche Stolichnaya in drei Zügen kippt, wird man redselig.“
Der Kaptitän gluckste und biss von der Eiswaffel ab.
„Welches Boot hatte er damals?“, fragte Natalia neugierig. „Das wird ja wohl kein Staatsgeheimnis sein.“
„K-119 Woronesh. Da war er bei der Nordmeerflotte. Dann wurde er hierher versetzt und hat jetzt die Tomsk.“
„Was denn, immer noch sauer?“ Jurij Jefremow schlug Mikhail krachend auf die Schulter. „Jetzt komm wieder runter, Seemann. Du warst beim Stapellauf und den ersten Probefahrten dabei und hast uns gute Fahrt gewünscht.“
„Was ich jetzt noch bereue“, grunzte Mikhail, schaffte es aber nicht, sein Lachen zu unterdrücken.
„Natalia, sei doch bitte so lieb und sag dem Koch, er soll mir eins diese dünnen Rumpfsteaks mit Käse machen.“
Die hübsche Bedienung mit den langen blonden Haaren verschwand in Küchentür und Mikhail schaute ihr nach. Er mochte sie. Eigentlich waren alle Seeleute in Waldiwostok hinter ihr her. Kein Wunder. Die schlanke, eins neunundsechzig große Schönheit konnte keiner übersehen.
„Oha, jetzt hat es dich wohl erwischt“, zog ihn Jefremow lachend auf. „Nur zu. Sie versteht es, dich aufzuheitern.“
„Halt die Klappe, Jurij“, erwiderte Mikhail so gutmütig wie möglich, während er nachdenklich einen Schluck Eiskaffee nahm.
„Warum auch nicht“, sagte Jefremow weiter. „Sie passt doch zu dir. Sie ist nicht verheiratet und einen Kerl scheint sie auch nicht zu haben.“
Gerade als Mikhail seinem Kumpel erneut sagen wollte, er solle still sein, kam Natalia durch die Tür gesaust.
„Na, Mädels, vertragt ihr auch wieder?“, fragte sie fröhlich. „Jurij, dein Steak kommt in ein paar Minuten, setz dich schonmal hin.“ Jefremow schlug Mikhail erneut auf die Schulter.
„Bis später“, sagte er und flüsterte ihm dann zu: „Und versau es nicht bei ihr.“
„Jaja, du mich auch, Jurij“, murmelte Mikhail und widmete sich wieder seinem Eisbecher.
„Er dich was?“, fragte Natalia lächelnd.
„Nicht so wichtig“, sagte Mikhail und zwinkerte ihr zu. „Sag mal, hast du morgen etwas vor? Das Oberkommando weiß noch nicht, ob wir nach Nordkorea auslaufen oder nach Petropawlowsk zurück verlegen sollen. Das kann noch eine Woche dauern.“
„Eigenlich nicht“, sagte Natalia. „Soll das eine Verabredung werden?“
„Naja, ich dachte, ich zeige dir mal mein Schiff.“
Magadan und Aleksandr Newskij waren seit sechs Monaten in Bolshoj Kamen staioniert, da man von hier schneller zu eventuellen Krisenherden in Asien kommen konnte. Mikhail wollte eigentlich nicht nach Petropawlowsk zurück, aber er musste nun einmal Befehle befolgen.
„Also wenn ihr wieder da hoch müsst, werde ich dich vermissen“, sagte Natalia mit einem gekünstelt traurigen Gesicht.
Mikhail wusste nicht, was er darauf antworten sollte und zuckte mit den Schultern.
„Befehl ist Befehl“, sagte er schließlich. „Aber ... Du kannt ja mitkommen.“
„Ich überlege es mir“, gab sie lachend zurück. „Diese Nordkorea-Sache macht einem Angst. Erst beschießen sie eins unerer Schiffe und dann klauen Sie ein Flugzeug. Und um die Sache zu perfekt-ionieren senden wir Truppen an die Grenze.“
„Keine Angst. Die Sache wird schneller vorbei sein, als du denkst. Die werden unsere Jungs da raus holen und im schlimmsten Fall ein paar von Nordkoreas Raketenstellungen zerstören.“
„Und dann?“
„Was dann?“
„Na, was passiert danach.“
„Kim Jong-Nam ist bestimmt nicht so dämlich wie sein Vater. Ich denke, er steht vom Tisch auf und macht Feierabend.“
„Na deinen Optimismus will ich haben, Misha.“


Montag, 16. Juni 2014, Kreml, Moskau

Wiktor Roshkow wartete immer noch. Nordkorea hatte sich nicht gezuckt und drei Anfragen, man möge den Botschafter in den Kreml schicken blieben unbeachtet.
„Herr Präsident, es ist Zeit sich zu entscheiden“, drängte General Grubow. „Bedenken Sie, dass wir gleichzeitig eine Bedrohung aus dem Weg schaffen. Die südkoreanischen Streitkräfte stehen bereit.“
„Wie lange noch, bis das Ultimatum abläuft?“, fragte der Präsident.
„Vier Stunden“, erwiderte Iwanowitsh. „Laut Aufklärungsberichten halten die Nordkoreaner weiterhin ihr Manöver ab.
„Wir haben eine Verbindung mit Pjöngjang“, rief eine Frau aus dem Kommunikationszentrum.
„Was wollen die?“
„Wir drucken es gerade aus, Herr Präsident.“
„Sehr gut.“
Eine junge Frau kam in den Lageraum und gab dem Präsidenten einen Zettel. Roshkow begann zu lesen:


[size=9:0eb18bdde0]Präsident Roshkow,

wir sind sehr bestürzt über den kürzlichen Zwischenfall. Leider hat das U-Bootjagdflugzeug der russischen Pazifikflotte unseren Luftraum verletzt. Es liegt uns fern, irgendjemandem Böses zuzufügen, aber wir müssen die Besatzung der Maschine leider vor Gerricht stellen. Wir behandeln diesen Zwischenfall als eine Kriegshandlung gegen die Demokratische Volksrepublik Korea und als Angriff auf unsere Souveränität.

Da wir aber ein friedliebendes Land sind, möchte ich Ihnen hiermit ein Angebot unterbreiten. Überdenken sie bitte die Bestellung, die wir vor drei Jahren an Sie gerichtet haben. Es handelte sich um:

10 Multifunktionale Kampfflugzeuge Su-30MK2
10 Luftüberlegenheitsjäger MiG-29SMT-2
2 Flugabwehrraketenkomplexe "Antej-2500"
6 Flugabwehrraketenkomplexe "Tor-M2"
2 Raketenschiffe, Projekt 1239E
2 Unterseeboote, Projekt 636M

im Wert von insgesamt zwei Milliarden US-Dollar. Wir nutzen diese Waffensysteme ausschließlich zur Verteidigung und bitten Sie, unser Angebot zu überdenken.

Wenn der Vertrag erst unterschrieben ist, entlassen wir ihre Besatzung wieder in die Heimat.


Gez.: Pak Dong-Ju, Verteidigungsminister KDVR
[/size:0eb18bdde0]


„Darum geht's den Hurensöhnen also“, murmelte Roshkow. „Die wollen Rüstungseinkäufe erpressen, um ihre Schrottarmee auf Vordermann zu bringen.“
„Wir können den Vertrag trotzdem unterschreiben“, schlug General Andrejew vor. „Wir bauen einen Sender ein, der die Waffensysteme nach einer gewissen Zeit unbrauchbar macht“
„Die Idee ist nicht schlecht“, gab Roshkow zu. „Aber was ist mit Südkorea? Und den USA? Wir unterzeichnen einen Vertrag, der das Kräftegleichgewicht in der Region stark beeinflusst. Das wird denen garnicht schmecken."
„Und wir können denen nicht einfach sagen“,warf Grubow ein, „dass die Waffensysteme sabotiert sind, denn undichte Stellen gibt es immer. Der Norden hat 'nen ganzen Arsch voll Agenten im Süden.“
„Nunja, einen Krieg sollten wir dennoch vermeiden.“ Roshkow rieb sich die Augen und fuhr dann langsam fort: „Wir unterschreiben den Vertrag. Unter der Bedingung, dass ganze Geschäft über-wachen zu lassen. Und wir liefern ausschließlich die Flugzeuge und Ersatzteile, die Waffenpaletten natürlich nicht. Und über kurz oder lang kann Nordkorea sowieso nichts Einsatzbereit halten.“
„Und die U-Boote?“, fragte Admiral Seliwanow.
„Wir drehen denen zwei ausgemusterte 877er zur Erprobung an, die wir angeblich zu 636M modifiziert haben“, schlug Gerashenko vor. Wir behaupten, die Feuerleitsysteme modernisiert und den Rest beim Alten gelassen haben, um die Wartung zu erleichtern. Und die alten Rosteimer werden Defekte ohne Ende haben, dass sie sie letztendlich zurückgeben.“
„Ich denke, selbst Nordkorea weiß, dass wir nicht innerhalb von ein paar Wochen zwei brandneue U-Boote aus dem Boden stampfen können. Bei den Raketenschiffen sagen wir einfach, dass wir erst noch gewisse Vorbereitungen treffen müssen. Die Flugzeuge werden kein Problem sein und den Flugabwehrkomplexen verpassen wir einen Computervirus.“


Zur gleichen Zeit, Position 41°53'8.61"N, 131° 2'2.66"O, Japanisches Meer,
Raketenkreuzer, Projekt 1164, Slawa-Kasse, Warjag


70 Kilometer östlich des nordkoreanischen Hafens und Stützpunktes Najin pflügte der Raketenkreuzer Warjag durch die Wellen. Eskortiert von den beiden Raketenschiffen Burnij und Bezbojashennij und den beiden großen U-Bootabwehrschiffen Admiral Tributs und Admiral Winogradow sowie dem neuen Mehrzweckkampfschiff Sowershennij überwachte das Flaggschiff der Pazifikflotte die Bewegungen nordkoreanischer Schnellboote, die dem Verband immer wieder gefährlich nahe kamen. Erst vor zwei Wochen hatte ein Schnellboot der alten Komar-Klasse zwei Raketen HY-1, welche der alten sowjetischen P-15 entsprachen, auf den Kreuzer losgelassen. Da diese alten Raketen jedoch langsam und zu Ausweichmanövern nicht in der Lage waren, wurden sie von den Abwehrgeschützen Kashtan-M abgeschossen.
Die Warjag gehörte zur Slawa-Klasse, Projekt 1164, die im Kalten Krieg als Antwort auf die Flugzeugträger der NATO entwickelt worden war. 1991 war die Warjag als drittes Schiff der Klasse in Dienst gestellt worden, ein viertes wurde zwar begonnen, aber nie fertiggestellt. In Nikolajew in der heutigen Ukraine am Schwarzen Meer gebaut wurde die Warjag später zur Pazifikflotte überführt. Von der Bewaffnung her wurden die 186 Meter langen 11 490 Tonnen verdrängenden Raketenkreuzer der Slawa-Klasse nur von den noch gewaltigeren Schiffen der atomgetriebenen Kirow-Klasse übertroffen. Leider war die Kirow-Klasse auch zu teuer im Unterhalt, sodass von vier Schiffen nur noch zwei im Dienst standen. Die Slawa-Klasse war die günstige Alternative.
Die Hauptbewaffnung der Warjag bestand nach ihrer Modernisierung 2012 aus 16 Antischiffraketen P-800 Onkis, welche, die auf Backbord und Steuerbord in je vier nach vorn geneigten Zweifachstartern schlummerten. Diese verliehen dem Schiff ein radikales Aussehen. Die Flugabwehrbewaffnung umfasste den Komplex Rif, mit acht senkrechten Achtfachmagazinen mit insgesamt 64 Raketen, zwei Zwillingstarter Osa-MA-2 mit 40 Raketen und sechs Raketenabwehrgeschützen Kashtan-M. Ein 130-Millimeter-Doppelgeschütz AK-130, zwei reaktive Zwöfffach-U-Bootabwehrraketenwerfer RBU-6000 und zehn 533-Millimeter-Torpedorohre gehörten ebenfalls zum Arsenal. Der Raketenkontrolle über dem Horizont diente ein Hubschrauber Ka-27. Als Antrieb dienten sechs Gasturbinen mit insgesamt 130 000 PS, um das Schiff auf 32 Knoten zu beschleunigen.
Die Warjag und ihre Geleitschiffe fuhren Kurs eins-acht-sechs mit konstanten 20 Knoten. Der Raketenkreuzer war von seinen fünf Begleitern führsorglich in die Mitte genommen worden. 600 Meter vor der Warjag lief die Sowershennij, 400 Meter an Backbord Burnij und Admiral Winogradow und 700 Meter an Steuerbord Bezbojashennij und Admiral Tributs. Sieben Kilometer weiter an Steuerbord fuhren zwei nordkoreanische U-Bootjäger der Hainan-Klasse unter Führung einer Fregatte der Najin-Klasse. Diesen Verband galt es zu überwachen. Um die Lage zu perfektionieren hatten die Chinesen reagiert und eine kleinen Kampfverband entsandt, der aus dem 8 400-Tonnen-Lenkwaffenzerstörer Shenyang und den beiden kleinen Fregatten Maoming und Yibin, beides 1 600-Tonner, bestand. Diese Schiffe liefen 18 Kilometer Backbord voraus.
Nordkorea war bei China ins Fettnäpfchen getreten und in Beijing wurde heftig debattiert, ob man dem isolierten Verbündeten den Laufpass geben sollte. Zweifellos waren auch die Japaner an der derzeitigen Entwicklung höchst interessiert, und man war sich sicher, dass ein U-Boot der JMSDF in den Gewässern patrouillierte und ein Zerstörer-Verband im Anmarsch war. Doch die freudigste Überraschung kam aus Südkorea. Die ROK Navy hatte den Lenkwaffenzerstörer Gang Gam Chan und die Fregatte Pusan geschickt.
Am Morgen hatte man eine nordkoreanische Radiosendung empfangen, die davon handelte, wie unerschrocken die Marine der Volksbefreiungsarmee den Imperialistischen Verrätern die Stirn bot. Tunlichst verschwiegen wurde allerdings die Tatsache, dass die Russen, Chinesen oder Südkoreaner die drei nordkoreanischen Schiffe jederzeit versenken konnten, wenn ihnen der Sinn danach stand. Ganz zu schweigen davon, das lediglich die Fregatte in der Lage war, zwei veraltete Antischiffraketen einzusetzen. Die Sowershennij hatte auch ein nordkoreanisches U-Boot geortet, welches so laut war, dass ihre Sonarmänner die Lautstärkeregler ihrer Kopfhörer fast ganz zurückdrehen mussten, um keinen Gehörschaden zu bekommen. Mindestens drei weitere U-Boote waren von Tu-142M3 und Il-38N gesichtet worden, eines davon aufgetaucht. Dennoch würde man spielend mit der nordkoreanischen Marine fertig werden, denn im Großen und Ganzen waren deren Schiffe nicht einmal die Munition wert, die nötig war, um sie zu versenken.


Sechs Stunden später, Sunchon, KDVR

Die Russen schienen am Ende ihrer Kräfte zu sein. Nordkoreanische Wachsoldaten kamen meist in der Nacht, holten einen der Männer aus seiner Zelle und schleiften ihn zum Verhör in die gegenüber liegende Baracke. Rusland schätzte die Zeit auf ein Uhr morgens, als Leutnant Bogdanow aus der Zelle geholt wurde.
„Nehmt eure dreckigen Pfoten von ihm!“, brüllte Ruslan, der das Gerangel im Gang gehört hatte. In diesem Moment wurde die Tür seiner Zelle ebenfalls geöffnet. Einer der Wachsoldaten trat hinein, aber Ruslan war schneller. Er hatte sich hinter die geöffnete Tür gestellt und als der Soldat hinein kam, stellte er ihm ein Bein, packte ihn von hinten und schleuderte herum und mit dem Kopf gegen die Eisentür. Die ganze Wut der letzten fünf Tage brach jetzt aus ihm heraus. Dem nächsten Soldaten, der in die Zelle trat, rammte er die Faust mitten ins Gesicht. Es brauchte insgesamt zehn Mann und 15 Minuten, um den wütenden Piloten aus der Zelle zu ziehen, ins Verhörzimmer zu schleifen und ihn dort auf einen Stuhl zu fesseln. Dabei vergaß eine der Wachen, dass Ruslan's Hände zwar gefesselt, seine Beine aber frei waren. Er versetzte dem Soldaten einen gewaltigen Tritt in die Weichteile. Der Nordkoreaner klappte zusammen wie ein Taschenmesser und wand sich auf dem Fußboden. Doch die Soldaten waren in der Überzahl und prügelten solange auf ihn ein, bis er schwer atmend und laut fluchend am Boden lag. Das Verhör konnte man jetzt natürlich vergessen und ließ ihn die Nacht über einfach dort liegen, wo er lag. Währenddessen wurde Bogdanow nebenan auf das Übelste zugerichtet. Man tauchte ihn mit dem Kopf in eiskaltes Wasser, brüllte ihn voll, demütigte ihn, schlug auf ihn ein, behandelte ihn mit Elektroschocks – nur weil man wissen wollte, wie der Zugangscode zum Hauptcomputer des Kommunikationssystems der Be-220 lautete.
Doch der junge Leutnant war mittlerweile so schwer verletzt, dass er nicht einmal mehr schreien konnte. Er blieb einfach schwer atment liegen. Luft bekam er kaum noch, seine drei gebrochenen Rippen drückten ihm schmerzhaft auf den linken Lungenflügel. Sein Gesicht war dermaßen geschwollen und geschunden, dass für den Rest seines Lebens Narben zurückbleiben würden.
Ein Zimmer weiter wurde der Waffensystemoffizier Butenko der Wasserfolter unterzogen. Er lag gefesselt auf einer Holzliege. Dann kamen zwei Soldaten mit einem riesigen Wasserkessel auf Gusseisen und rammten ihm die Tülle in den Mund. Es floss so viel Wasser in seinen Körper, dass es dass Bewusstsein verlor. Als er wieder zu sich kam, lag er bäuchlings auf dem Brett und die beiden Soldaten traten gegen dessen Unterseite. Das Wasser schoss aus all seinen Körperöffnungen. Er würgte, spuckte und erbrach, bis nur noch Galle kam. Sie schleiften ihn in die Zelle zurück. In der gleichen Nacht bekam er hohes Fieber und begann, wie im Delirium zu reden. Sein Gesicht war so geschwollen, das er die Augen nicht öffnen konnte.
Die Nordkoreaner hatten überhaupt nicht vor, die Russen nach der Unterzeichnung des Vertrages auszuliefern. Sie würden die Russen foltern, bis jedes Detail der Be-220 bekannt war, und sie dann versschwinden lassen. Darüber hinaus wusste man, dass sich russische und nordkoreanische Verbände im Norden entland des 15 Kilometer breiten Grenzstreifens gegenüberstanden, dass russische U-Boote und Kampfverbände vor der Ostküste lauerten und dass der Süden seine Streitkräfte in erhöhte Gefechtsbereitschaft versetzt hatte.
General Myong-Ku und Hauptmann Lee Ki-Sok waren sich durchaus bewusst, welche Chancen ihre Luftstreitkräfte gegen einen russischen, amerikanischen oder südkoreanischen Luftschlag hatten. Auch die Flugabwehr der nordkoreanischen Luftverteidigung war alles andere als zuverlässig. Ruslan hatte die alten chinesischen HQ-2-Flugabwehrraketen, die um den Stützpunkt von Sunchon aufgestellt waren, gesehen. Die Dinger basierten auf der alten sowjetischen S-75 Dwina und man konnte sie auf Grund ihrer Größe leicht mit taktischen Mittelstreckenraketen verwechseln. Darüber hinaus waren die Raketen überlagert und es war unwahrscheinlich, dass ihre Triebwerke beim Startbefehl überhaupt zündeten. Noch unwahrscheinlicher war es, dass die Raketen ihr Ziel erfass-ten und gänzlich unmöglich war, dass sie es trafen. Gegen Jäger und Jagdbomber waren sie ohnehin nutzlos, da sie zu langsam und zu träge waren. Sie waren in der UdSSR gegen große US-Bomber wie die B-52 entwickelt worden. Und selbst diese überstanden Treffer vietnamesischer S-75, die im Vietnamkrieg eingesetzt wurden.
Hier in Sunchon waren außer den MiG-29 noch einige Jagdbomber Su-7BMK und Schlachtflugzeuge Su-25K stationiert, die jedoch eher als Zielscheiben zuu gebrauchen waren. Nordkorea hatte zwar doppelt so viele Flugzeuge wie der Süden, aber nur etwa 30 davon konnten sich mit modernen Luftwaffen messen – solange sie überhaupt in die Luft kamen.


Dienstag, 17. Juni 2014, Sewerodwinsk

Während sich am anderen Ende Russlands die politsche Lage allmählich zuspitzte, hatte Alex ganz andere Probleme. Der Hilfsdiesel lief inzwischen ohne zu mucksen, doch die Gepard sollte für ihre Überführung nach Gadshijewo Waffen an Bord nehmen – Anweisung von ganz oben und leichter gesagt als getan. Denn in Sewerodwinsk selbst gab es kein Lager für Torpedos, sondern nur eins für Testgeschosse, mit denen die Besatzungen der neuen 955er das Abschießen der Raketen übten.
Alex hatte es gestern schließlich geschafft, persönlich vier WA-111 Shkwal-M und vier RPK-7 Weter anzufordern. Zwei davon sollten während der ganzen Fahrt nach Gadshijewo, einer Strecke von drei bis vier Tagen, in den Rohren untergebracht werden.
Der Shkwal-M, eine Unterwasserrakete ohne Entsprechungen im Westen, war ein Meisterstück russischer Unterwasserwaffentechnik. Sie erreichte Geschwindigkeiten von 370 Stundenkilometer bei einer Reichweite von 11 Kilometer und ließ dem Gegner keine Chance, dem tödlichen Einschlag auszuweichen. Die ersten Shkwal (Sturmböe) waren noch ungelenkt, doch der neue Shkwal-M konnte mittels Drahtlenkung abgebremst und beschleunigt werden, sodass auch größere Kursänderungen durch Gasaustöße möglich waren. Bei der hohen Geschwindigkeit nutzte der Shkwal-M die Superkavitaion. Die Sowjets waren die ersten, die sich diese Eigenschaft zu Nutze machten. Ab 180 Stundenkilometer bildete sich unter Wasser eine Gasblase um das Objekt. 1977 wurden die ersten Shkwal unter strengster Geheimhaltung eingeführt und erst 1991 wurden sie im Westen bekannt.
Das Problem war allerdings die Lenkbarkeit. Die ersten Modelle dieser Unterwasserharpune flogen nämlich nur geradeaus. Wollte man sie gegen U-Boote einsetzen, musste man ziemlich genau zielen und die Feuerleitcomputer mussten sehr komplizierte Beerechungen anstellen. Das Ergebnis war der Shkwal-M, welche nach jahrelangen, streng geheimen Versuchen in einer unterirdische Anlage am Baikalsee 2009 eingeführt wurde. Er benutzte aus der Gasblase herausragende, sehr starke Steuerflossen, die sie ja nach Anstellwinkel abbremsten. Dabei durfte die Geschwindigkeit jedoch nicht unter 200 Stundenkilometer fallen, sonst brach die Gasblase zusammen und das Geschoss wurde zerquetscht. War der Torpedo erst abgebremst, sorgen kleine Gasstöße aus der Bugspitze nach oben, unten, links oder rechts für die gewünschte Kursänderung. Das Ziel wurde mittels Aktivsonar angepeilt; so wusste es zwar, dass es beschossen wurde, doch einem Treffer bei diesen Geschwindigkeiten zu entgehen, war unmöglich. Allein der Überraschungseffekt war schlicht zu groß. Für passive Systeme war der Shkwal-M ohnehin zu laut – allein der Abschuss erzeugte eine Dröhnen, dass einer startenden Sojus-Rakete in nichts nachstand.
RPK-7 war eine U-Bootabwehrrakete mit einem Torpedo UGMT-1 als Gefechtskopf. Sie wurde abgeschossen, stieg über die Wasseröberfläche, flog in einer ballistischen Bahn ins Zielgebiet und warf dort ihren Torpedo ab. Sie hatte eine beachtliche Reichweite von 120 Kilometer und konnte auch gegen Überwasserziele einsetzt werden.
Die Torpedoladeluke am Bug zwischen den Abschussrohren für RK-55 war geöffnet und ein kleiner Kran hievte von einem KrAZ-Lastwagen die tödliche Ladung hindurch in die Torpedosektion des 112 Meter langen U-Kreuzers. Alex stand am rechten Rand der Luke und betrachete, wie der in eine Schutzplane verpackte Shkwal-M hineingehievt wurde. Er sah aus, die eine runde Pfeilspitze. Die Vorstellung, diese Sturmböe auf sich zukommen zu sehen, jagte wohl jedem eine Gänsehaut über den Rücken. Nur einmal hatte Alex bisher den Abschuss eines Shkwal-M miterleben dürfen. Der Lärm war ohrenbestäubend gewesen, die Männer in der Torpedosektion hatten Ohrenschützer tragen müssen. Für 11 Kilometer brauchte diese Bestie gerade einmal 30 Sekunden, um sich dann durch den Rumpf ihres Zieles zu bohren und dann mit ungeheurer Wucht zu detonieren – der Traum eines jeden westlichen Rüstungsingenieurs. Lediglich russische Besatzungen hatten den Shkwal-M je im Orginal zu Gesicht bekommen, auf Ausstellungen wurden nur Modelle und Attrappen gezeigt. Erst wenn er in der Torpedosektion war, würde die Schutzplane entfernt werden. Es war jetzt neun Uhr am Morgen, die Hälfte der Besatzung saß beim Frühstück in der Messe. Am späten Nachmittag würde K-335 Gepard nach eineinhalb Jahren endlich wieder auslaufen und ihren Heimathafen wiedersehen.


Um 17 Uhr war es soweit. Alex stand mit einem Funkgerät auf dem Turm und beobachete, wie die beiden Schlepper am Bug und Heck ihre Leinen festmachten.
„Bugleinen los“, befahl er und vier Matrosen warfen die dicken Taue zum Pier.
„Achterleinen los.“
Die beiden verrosteten Schlepper zogen K-335 Gepard vom Pier weg ins Fahrwasser. Alex drückte die Sprechtaste für den Turbinenraum.
„Langsame Fahr voraus, Jurij“, befahl er und die siebenblättrige Schraube begann sich zu drehen. Die Gepard glitt durch den Hafen von Sewerodwinsk und schließlich drehten auch die beiden Schlepper ab. Alex stand zufrieden auf der Turmbrücke und grinste den ersten Offizier an. Kapitän zweiten Ranges Eugen Nawojtsew konnte nicht umhin, ebenfalls zu grinsen.
„Es geht nach wieder los, Kapitän“, sagte er, während er durch das Fernglas das Weiße Meer absuchte. „Ich schlage vor, wir tauchen um zweiundzwanzig Uhr. Die Amerikaner können ruhig wissen, dass mit uns wieder zu rechnen ist. Außer denen interessiert sich keiner mehr für uns.“
„Ich wäre lieber vor dem Überflug ihres Satelliten unter der Oberfläche“, sagte Alex. „Mushketow meinte, er habe eine Überraschung von uns.“
„Wie Sie wollen, Sie sind der Kommandant. Eine Überraschung also? Man munkelt vom Mittelmeer.“
„Was gibt´s denn besseres, als Sonne, Strand und Mädels“, sagte Bugajew, der eben aus dem Turmluk gekrochen kam. „Gegen das Japanische Meer hätte ich aber auch nichts. Ein paar Steinzeitkom-munisten über den Haufen zu schießen, kann auch lustig sein.“
„Sagt einer, dessen Familie der Partei einst treu ergeben war“, kicherte Nawojtsew amüsiert.
„Haha“, gab Bugajew tonlos zurück. „Reiß nur weiter solche Witze, Eugen. Mal sehen, ob du noch lachst, wenn du erstmal in Nordkorea warst.“
„Schluss jetzt“, sagte Alex entschieden, um dann noch einen drauf zu setzen. „Also dann, Genossen, bringt sie runter.“
„Zu Befehl, Kapitän“, erwiderte Bugajew und verschwand wieder im Turmluk.
„Erster Offizier verlässt Brücke“, sagte Nawojtsew und folgte dem Chefingenieur nach unten. In der russischen Seekriegsflotte war es Gesetz, dass der Kommandant als letzter die Turmbrücke verließ.
„Erster Offizier ist unten“, tönte es aus dem Lautsprecher. Auf dieses Stichwort hin veriegelte Alex über sich die Luke und kletterte in die Zentrale hinunter. „Tauchoffizier, tauchen auf fünfundzwanzig Meter, vordere Tiefenruder unten zehn“, befahl der Kapitän. Umdrehungen für fünfzehn Knoten.
„Fünfundzwanzig“, bestätigte Leutnant Seregin. „vordere Tiefenruder unten zehn.“
Rauschend verschwand die Gepard unter der Oberfläche. Wenn ihnen das Glück hold war, würden US-Satelliten sie erst in vier Tagen entdecken, wenn das Boot wieder an seinem Liegeplatz in Gadshijewo lag. Die Stunden vergingen und um null Uhr ließ Alex eine harte 360-Grad-Kurve nach Backbord fahren. Im Westen hieß diese Wendemanöver Irrer Iwan. Eine Taktik aus dem Kalten Krieg, um Verfolger abzuschütteln oder zu orten. Die Amerikaner hatten damals sogut wie jedes russische U-Boot verfolgt, da die U-Boote der ersten und zweiten Generation als realtiv laut galten. Sie legten eine akustische Datenbank an, die so genau war, das die US-Navy nicht nur die Klasse, sondern sogar das einzelne Boot der Klasse identifizieren konnten. Erst mit den sowjetischen/russischen U-Booten der dritten Generation, die in den achtziger Jahren gebaut wurden (die Projekte 971U und 971M schwankten schon irgendwo zwischen dritter und vierter Generation, als Übergangslösung), gelang es, den Spieß umzudrehen – oder zumindest ein Gleichgewicht zu erreichen. „Kapitän, ich habe Geräusche an unserer Backbordseite“, meldete Leutnant Kalistratow. „Sehr schwach, Entfernung unter einem Kilometer.“
„Eins von unseren?“, fragte Alex überrascht und drückte eine Sprechtaste zum Funkraum. „Leutnant Ratshenko, haben wir U-Boote in diesen Gewässern?“
„Ja, Kapitän“, tönte es aus dem Lautsprecher. „K-119 Woronesh dürfte sich zwanzig Kilometer weiter nördlich befinden und führt Abschussübungen durch.“ Er bezog auf einen riesigen Raketen-U-Kreuzer, der nach seiner Umrüstung den Antischiffraketenkomplex Oniks-M testete.
„Ruder Backbord auf null-null-eins“, befahl Alex. „Schleppsonar raus und Position festhalten. So leise wie möglich rangehen, ich will wissen, wer das ist.“
„Kurs null-null-eins, Umdrehungen für fünf Knoten“, befahl Nawojtsew.
„Sonar an Zentrale, Kontakt ist definitiv ein U-Boot.“
„Hat er uns entdeckt?“
„Schwer zu sagen. Durch den Oberflächenlärm kann uns sein Sonar nicht gehört haben.“
„Vorsichtig runter auf vierzig Meter“. Alex ging in den Sonarraum. „Koventionell oder nuklear?“, fragte der Kapitän den Sonaroffizier.
„Nuklear, eine Welle“, murmelte Kalistratow nachdenklich. „driftet mit fünf Knoten nach Osten. Position etwa fünfhundert Meter Backbord voraus. Genaueres kann ich nicht sagen, die Strömungen in diesen Gewässern erzeugen zu viele Turbulenzen.“
„Sie ahnen doch was“, sagte Alex. „Worauf tippen Sie?“
„Ein Brite oder ein Amerikaner“, erwiderte Kalistratow. „Entweder Virginia- oder Astute-Klasse.“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Kein Schraubengeräusch. Ich wette auf einen Wasserstrahlantrieb.“
„Es gibt nicht viele U-Boote mit solchen Dingern“, sagte Alex und zählte nachdenklich alle Möglichkeiten auf. Er hatte sich eingehend mit westlichen U-Boot-Klassen beschäftigt und kannte seine Gegner. „Die Amerikaner haben nur zwei Klassen mit Wasserstrahlantrieben. Seawolf- und Virginia-Klasse. Die Briten haben drei. Die alten Trafalgar, die Astute und die Vanguard. Deren Antriebskennlinien haben wir aber im Computer. Die Franzosen haben die Triomphant-Klasse und die neuen Jäger vom Typ Barracuda. Haben wir nicht im Computer, noch nicht. Wir haben nur die 955er und das 885.“
„Die 955er schließe ich aus“, sagte Kalistratow entschieden. „Eins im Pazifik, zwei im Hafen, eins noch nicht mal seetauglich. Das neue 885 führt Systemtests im Dock durch. Die Franzosen operieren im Atlantik oder im Mittelmeer, ab und zu im Pazifik, haben hier also nichts verloren.“
„Stimmt, die können wir also streichen“, stimmte Alex zu. „Die Briten haben schon lange kein U-Boot mehr im Norden gehabt, ins Weiße Meer haben sie sich nie getraut. Nein, dass ist ein amerikanisches U-Boot. Fragt sich nur, welches. Von der Seawolf-Klasse wurden nur drei gebaut, und zwei davon sind im Pazifik. Könnte USS Connecticut sein, die ist bei der Atlantikflotte.“
„Nee, die liegt zur Überholung in New London,“ warf Kalistratow ein.
„Woher wissen Sie das?“, fragte Alex erstaunt
„Mein Vater ist bei der Aufklärung. Er wertet Satellitenaufnahmen aus.“
„Achso. Nun dann ist es ein Virginia.“
„Denke ich auch. Ich tippe sogar auf USS Virginia selbst, die wurde nämlich vor einer Woche in der Barentssee geortet.“
„Ohnehin nichts neues, dass die Amerikaner in unsere Gewässer eindringen“, sagte Alex. „Dann wollen wir ihn mal aufscheuchen.“ Mit diesen Worten ging er in die Zentrale, nahm das Mikrofon und drückte die Taste, die ihn mit der Torpedosektion verband.
„Rohre eins und vier bewässern und Klappen öffnen.“
„Was haben Sie vor, Kapitän?“, fragte Nawojtsew.
„Wir husten ihn an.“
„Ein Druckluftschuss?“
„Genau. Rohre eins und vier, Schuss wenn bereit.“
Dreißig Sekunden später ertönte ein Zischen. Kurz darauf meldete sich auch schon Kalistratow.
„Sonar an Zentrale, U-Boot beschleunigt rapide. Antriebskennlinien stimmen mit amerikanischem Jagd-U-Boot der Virginia-Klasse überein.“
„Wir hängen uns ran“, entschied Alex. „Beschleunigen Sie gleichmäßig mit ihm und gehen Sie in sein Kielwasser.“ Dann sah er Nawojtsew's nachdenkliche Miene. „Was denken Sie, Eugen?“
„Der ist auf der Palme. Wir haben die zu Tode erschrocken.“

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BURAN 17 Jahre 3 Monate her #10511

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muss ich das jetzt alles lesen?
Wird das ein Buch?

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BURAN 17 Jahre 3 Monate her #10517

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Joa, das wird ein Buch ...

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BURAN 17 Jahre 3 Monate her #10518

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